Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Frenzel

Eine ausgezeichnete Antisemitin

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Endlich vergessen?

»Woran liegt es, dass eine Zunft, die sich doch einiges darauf einbildet, die eigene Verstrickung in die NS-Zeit in extenso aufgearbeitet zu haben, bislang nicht imstande war, ein Lexikon vorzulegen, dass unseren heu­tigen Vorstellungen von literarischer Relevanz entspricht?« Diese Frage stellte Tilman Krause 2009 in der Welt. Es gab sogar Vorschläge, das Standardwerk zu ersetzen, zum Beispiel vom Literaturwissenschaftler Peter Goßens. Würde man das italienische »Dizionario dei temi letterari« ins Deutsche übersetzen, könnten die Schriften Elisabeth Frenzels »endgültig im Orkus der Wissenschaftsgeschichte verschwinden«, schrieb er 2015 in einem Nachruf. Mit ihrem Tod scheint der Fall Frenzel für viele abgeschlossen. Das italienische ­Lexikon wartet noch immer auf eine Übersetzung.

Der größte Skandal an der Geschichte Elisabeth Frenzels ist, dass es nie einen richtigen Skandal gab. Nie kam es zu einem Eklat, nicht einmal nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, obwohl schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit ihr antisemitisches Engagement ­bekannt geworden war. Die eigentliche Frage, die sich im Fall Elisabeth Frenzel stellt, lautet: Wie konnte das passieren? Elisabeth Frenzel selbst schützte sich durch Schweigen und einen gemäßigten Ton in ihren wissenschaftlichen Texten der Nachkriegszeit. Doch nicht nur sie allein hat dafür gesorgt, nicht in Verruf zu geraten; viele Institutionen haben ihr Schweigen nur allzu gern hin­genommen. Sie starb wohl nicht beliebt, aber mit einem beträchtlichen Vermögen und hohen Auszeichnungen.

Auf keinen Fall darf solch eine Lebensgeschichte vergessen werden; stattdessen kann sie als Beispiel dafür dienen, wie Anhängerinnen und ­Anhänger des NS in der Nachkriegszeit ihre wissenschaftliche Karriere fortsetzen konnten. Es ist unrecht, dass Elisabeth Frenzel für ihre antisemitische Hetze im Nationalsozialismus nie zur Rechenschaft gezogen wurde. Es ist unrecht, dass sie aus bürokratischen Gründen einen Doktorgrad behalten konnte, den sie mit als Wissenschaft ausgegebener antisemitischer Ideologie erworben hatte. Es ist unrecht, dass sie ihre Weltsicht ungehindert in einen wissenschaftlichen und kulturellen Kanon einschreiben konnte, der an Univer­sitäten verbreitet wurde. Und es ist unrecht, dass sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. 2009 schrieb Tilman Krause: »Alle fünf Jahre wird Elisabeth Frenzel als alte Nazisse entlarvt.« Bislang leider folgenlos. Es wird höchste Zeit, sie auch offiziell als die Antisemitin zu bezeichnen, die sie war.