Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Frenzel

Eine ausgezeichnete Antisemitin

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Nicht ganz richtig im Kopf?

Der Artikel im Berliner Telegraf war nur die erste öffentliche Kritik an Elisabeth Frenzel. Rolf Seeliger veröffentlichte 1967 eine Broschüre mit dem Titel »Doktorarbeiten im Dritten Reich – Dokumentation mit Stellungnahmen«. Er analysierte unter anderem Elisabeth Frenzels Dissertation und sprach sich dafür aus, ihr den Doktorgrad abzuerkennen – ohne Erfolg und ohne Reaktion von Frenzel. 1999 nahm Anton G. Leitner, Herausgeber der Zeitschrift Das Gedicht, die Debatte wieder auf, nachdem Florian Radvan in einem literaturwissenschaftlichen Artikel kritisiert hatte, dass Frenzels Standardwerke immer noch im Gebrauch seien. In einem öffentlichen Aufruf forderte Leitner Hans Meyer, der 1999 Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin war, dazu auf, Frenzel den Doktorgrad abzuerkennen. Meyer antwortete, dass Frenzels Fall geprüft werde, um sich »den dunklen Phasen ihrer Geschichte« stellen zu können. Heraus kam bei der Prüfung nichts, mit der Begründung, dass die Universität grundsätzlich keine Doktortitel aberkenne. Leitner indes erhielt nach seinem öffentlichen Aufruf einen Drohbrief, unterzeichnet mit dem Pseudonym Dr. Schneider: »Daß sie im Kopf nicht ganz richtig sind, wenn Sie einen 61 Jahre bestehenden Doktortitel bepinkeln, dürfte klar sein«, heißt es darin. Außerdem solle ein »Scheißer« eine Frau im Alter von etwa 90 Jahren nicht be­lästigen. Abschlussgruß: »88«. Frenzel selbst blieb sich während der Auseinandersetzung treu: schweigen und aussitzen.

Wie man als Antisemitin ans Bundesverdienstkreuz kommt – und es behält

Fast alle Personen und Institutionen, die sich nach dem Artikel im Berliner Telegraf mit Elisabeth Frenzel beschäftigen, schlagen einen kritischen Ton an. Eine Ausnahme jedoch fällt besonders ins Auge: das Bundespräsidialamt. 1997 wurde Elisabeth Frenzel das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen – Jahrzehnte nach Bekanntmachung ihres NS-Engagements und Seeligers Forderung, ihr den Doktortitel abzuerkennen. Auf Anfrage erhält man von der Ordenskanzlei die Verleihungsbegründung und liest erstaunt: »Schon im Ansatz, aber auch in der Ausführung, trägt das Lebenswerk von Frau Dr. Frenzel dazu bei, das internationale Ansehen der deutschen Germanistik in nicht geringem Maße zu steigern.« Der Begriff »Lebenswerk« wird in der Er­klärung als Oberbegriff für Frenzels erfolgreiche Standardwerke »Daten deutscher Dichtung«, »Stoffe der Weltliteratur« und »Motive der Weltliteratur« genutzt, die als »germanistische Grundausstattung in Büchereien, Schulen und Hochschulen« bezeichnet werden. Von ihrer Disser­tation oder der Kritik an ihren Standardwerken ist nicht die Rede. Die Ehrung ist auf den 14. März 1997 datiert und folgte einem Vorschlag von Eberhard Diepgen (CDU), dem damaligen Re­gierenden Bürgermeister Berlins, dem das Vorschlagsrecht von Edmund Stoiber (CSU), damals bayerischer Ministerpräsident, abgetreten wurde.