Gegen den jährlichen "Marsch für das Leben" protestierten am Samstag Tausende

Samstags für die Zukunft

Seite 2

Auch hier zeigten die »Lebensschützer« ihren Hang, Slogans zu übernehmen, und liefen mit einem der Behindertenbewegung auf: »Inklusion statt Selektion«. Allerdings wollten die Urheber der Parole damit zum Ausdruck bringen, dass ein gut ausgebautes Gesundheits- und Sozialsystem wichtig ist, damit sich werdende Eltern ohne Angst vor dem sozialen Abstieg für Kinder mit Behinderungen entscheiden können. Die christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegner benutzen hingegen diese Debatte, um ihr Kernanliegen zu befördern: die Gleichstellung von Föten mit geborenen Menschen. Ihr Ziel ist es, Antidiskriminierungsvorschriften und Menschenrechte auf Föten auszudehnen, was auch der Slogan »Inklusion auch für Ungeborene« ausdrückt.

Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Marsches befanden sich auch bekannte Politiker: Die AfD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Berliner Landesvorsitzende Beatrix von Storch nahm an der Auftaktkundgebung teil.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Norbert Geis trat als erster Redner auf. Er gehört zum rechten Rand der CSU und lehnte unter anderem das Gesetz zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und die »Ehe für alle« ab. In seiner Rede beschwor er den »Schutz der Schöpfung« und äußerte Unverständnis darüber, dass »Wespen, Bienen und Schmetterlinge« geschützt würden, aber nicht der »Mensch am Anfang der Existenz«.
Der BVL ist allerdings manchen »Lebensschützern« zu lasch: Vor der Auftaktkundgebung verteilte ein Mann Flugblätter, auf denen die Verbandsvorsitzende Linder als »partiell pro choice« bezeichnet wurde, da sie in einem Youtube-Video Schwangerschaftsabbrüche nach einer Vergewaltigung als »Grenzfall« bezeichnet habe. Ein Link auf dem Flugblatt führt auf die Seite kindermord.org, auf der die Shoah beispielsweise mit dem Spruch »Abtreibung macht frei« relativiert wird. Auch solche Ansichten wurden auf dem »Marsch für das Leben« geduldet: Ein junger Mann mit der gut lesbaren Aufschrift »Stoppt den Babycaust« auf seinem T-Shirt lief eine ganze Weile neben dem Fronttransparent her, ohne dass Ordner eingeschritten wären.

Proteste kamen den Abtreibungsgegnern deutlich näher als in den Vorjahren. Am Rande der Auftaktkundgebung machten Gegendemonstrantinnen mit einheitlichen T-Shirts und einem Transparent darauf aufmerksam, dass täglich weltweit mindestens 75 Menschen wegen unsachgemäß durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche sterben. Anderen gelang es, mit dem Ruf »Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben« die Bühne der »Lebensschützer« zu stürmen. Bevor sie dort ein Transparent entfalten konnten, wurden sie allerdings von den sehr zahlreich anwesenden Zivilpolizisten abgeführt. Eine Sitzblockade sorgte für eine einstündige Verzögerung, während der Marsch vom an­deren Spree-Ufer aus mit Musik und Sprüchen beschallt wurde. Wegen ­dieser und weiterer Blockaden wurde die Marschroute stark verkürzt. Die beiden feministischen Gruppen »What the fuck« und das »Bündnis für sexu­elle Selbstbestimmung« geben an, insgesamt hätten sich etwa 5 000 Menschen an den Gegendemonstrationen beteiligt. Damit zogen die Proteste erstmals so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer an wie der »Marsch für das Leben«.