Holocaust und Kolonialismus

Einebnung von Unterschieden

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Mitunter im Rekurs auf Arendt ist der Verdacht, dass die Shoah einen Vorlauf gehabt habe, der direkt zum Kolonialismus zurückweist, seit einigen Jahren verstärkt Thema von akademischen Abhandlungen. Steffen Klävers hat in seiner Dissertation »Decolonizing Auschwitz?« die »komparativ-postkolonialen Ansätze in der Holocaustforschung« untersucht, in denen die Vernichtung der europäischen Juden nicht als Zivilisations­bruch, sondern als Folgeerscheinung vorhergehender Verbrechen an »anderen« Bevölkerungen begriffen wird, um eine historische Kontinuität zwischen Diskontinuierlichem herzustellen.

Zwar sind sich die Autoren dabei uneins – manche sehen in der Shoah einen kolonialen Völkermord, andere so etwas wie einen »antikolonialen« Genozid, weil dem Judentum als imaginierter »Gegenrasse« im antisemitischen Wahn zugeschrieben worden war, Deutschland besetzt zu halten. Nichtsdestotrotz weist Klävers allen Positionen gravierende Aporien nach: Eine »ausführliche und systematische Aus­einandersetzung mit dem modernen Rassismus – insbesondere in Abgrenzung zum (kolonialen) Rassismus« nähmen sämtliche Autoren nicht vor, und am Ende stehe unweigerlich »ein verkürztes Verständnis von Nationalsozialismus und Holocaust«, weil das der postkolonialen Theorie entlehnte Vokabularium »von Selbst und Anderem, zivilisiert und unzivilisiert, westlich und nichtwestlich« dem historischen Sujet übergestülpt werde.

Es trifft zu, dass es neben der antisemitischen und der rassistischen Einstellung beispielsweise eines Militärapparats bedurft hatte, der bereits in Operationen geübt gewesen war, in denen eine rassistische Bestimmung des Feindes gängig, wenn nicht gar entscheidend war. Die in dieser Hinsicht bedeutsamen Momente in der pränationalsozialistischen Geschichte Deutschlands waren die Niederschlagung des Boxeraufstands in China 1900/1901 sowie der Schießbefehl von General Lothar von Trotha auf die Herero in Deutsch-Südwestafrika 1904. Allerdings ergeben Ähnlichkeiten noch kein Kontinuum. Weiter ist es bezeichnend, dass in der postkolonial geschulten Deutung dem Zerfall des Habsburger-Reichs oder die weit in die frühe Neuzeit zurückreichende Geschichte deutscher Siedlungsgebiete im Osten – so etwa Preußisch-Litauen – offenbar wenig Relevanz beigemessen wird.