Marokkos Klimapolitik ist fortschrittlich, aber autoritär

Der König trägt grün

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Die marokkanische Klimapolitik ist auch mit Infrastrukturprojekten verbunden, die in den meisten Fällen direkt von staatseigenen Unternehmen verwirklicht werden. Seit 2000 wurde das Bahnnetz, das seit der Kolonialzeit besteht, stark ausgebaut und erneuert. 2007 schloss die marokkanische Regierung einen Vertrag mit Frankreich über den Aufbau eines Schnellzugnetzes nach dem Vorbild des französischen TGV; seit 2018 ist zwischen Tanger und Casablanca dessen erster Streckenabschnitt in Betrieb. Zur selben Zeit wurde beschlossen, in den Großstädten Casablanca und Rabat-Salé in Kooperation mit französischen Firmen ein Netz für öffentlichen Schienennahverkehr aufzubauen. Seit 2011 hat Rabat-Salé ein Tramnetz mit 19 Kilometer Schienenlänge, in Casablanca gibt es seit 2012 ein Netz von rund 50 Kilometern, es soll in den kommenden Jahren auf die doppelte Länge ausgebaut werden. Ähnliche Pläne gibt es für weitere Großstädte wie Marrakesch, Fès, Tanger und Agadir.

Marokko hat im Gegensatz zu vielen anderen nordafrikanischen oder arabischen Staaten keine Vorkommen an fossilen Brennstoffen, die es exportieren könnte. 94 Prozent der fossilen Brennstoffe, die es verbraucht, muss es importieren. Es gibt noch weitere Gründe, die dazu beitragen, dass Marokko in der Klimapolitik weitaus besser dasteht als viele andere Staaten. Zum einen hat Marokko eine lange Geschichte der Umweltpolitik. Anders als in Ländern wie Deutschland ging diese allerdings nicht von sozialen Bewegungen aus, die Umweltschutz von unten und häufig in Opposition zum Staat erkämpften. In Marokko, so die Geschichte, die Umweltorganisationen und soziale Bewegungen gleichermaßen erzählen, seien umweltpolitische Maßnahmen zunächst vom Königshaus ausgegangen und eng mit Mohammed VI. verknüpft. Dieser nahm, damals noch Kronprinz, am Weltumweltgipfel in Rio 1992 teil. Nach seiner Rückkehr habe er seinen Vater, König Hassan II., überzeugt, sofort umweltpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Tatsächlich hatte Marokko bereits zwei Monate nach dem Gipfel einen Staatssekretär für Umwelt und setzte erste Umweltprogramme auf. Als Mohammed VI. 1999 nach dem Tod seines Vaters die Macht übernahm, trat er für eine moderate gesellschaftliche Liberalisierung und Modernisierung des Landes ein. Tausende NGOs entstanden; während Menschenrechtler weiterhin kritisch beäugt wurden, unterstützte der Staat aktiv die Gründung von Umweltorganisationen – weshalb auch manche politische Gruppen, die zuvor zu Menschenrechten oder sozialer Gerechtigkeit gearbeitet hatten, sich Umweltthemen zuwandten.

Im Juli 2016 verbot der König nach einer längeren Kontroverse innerhalb der Regierung Plastiktüten im Land; bei Missachtung drohen hohe Strafen. Diesen autoritären kritisieren manche, wie auch die Tatsache, dass viele der Großprojekte einem »grünen Neoliberalismus« folgen, der soziale Belange und die Beteiligung lokaler Akteure vernachlässige. Die großen Solarwärmekraftwerke sind ein Beispiel: Statt dezentraler Solaranlagen in der Hand von Gemeinden oder Genossenschaften wurden zentrale Großanlagen weitab der Städte in die Wüste gebaut, die kaum Arbeitsplätze für die benachbarten Gemeinden schaffen und nahen Flüssen für die Reinigung der Anlagen Wasser entziehen. Bei der Errichtung der Windparks wurden ehemalige Landnutzer vertrieben. Einige Projekte nehmen am umstrittenen Handel mit Emissionszertifikaten teil und verkaufen im Rahmen des Clean Development Mechanism Ausgleichszertifikate an Industrieländer. Von vielen der Projekte profitieren vor allem Unternehmen, die mehrheitlich in der Hand des Königshauses sind – und Kritik an diesem gilt weiterhin als nicht statthaft.

Auch der Klimaschutz wird von oben verordnet. Als erstes arabisches Land reichte Marokko vor der Klimakonferenz seine NDCs ein, sie galten als die ehrgeizigsten Ziele der Region – was wenig verwundert angesichts der Tatsache, dass viele Nachbarländer, wie Algerien, Ölexporteure sind und daher ­wenig Interesse an einer ambitionierten Klima­politik haben. Im November 2016 fand die jährliche Klimakonferenz der UN in Marrakesch statt. In den Monaten zuvor hatte es Konferenzen gegeben, bei denen sich Wissenschaftler und NGOs trafen, im ganzen Land warben Plakate für Klimaschutz, parallel zum UN-Gipfel fand eine große Konferenz zum Klimaschutz statt. Während eini­ge wenige Gruppen gegen eine Vereinnahmung durch den Staat mit einem eigenen Treffen in der Hafenstadt Safi protestierten, nutzten die meisten die Möglichkeit, frei von Repression in Austausch zu ­treten.

Die Klimakonferenz in Marrakesch wurde in marokkanischen Medien euphorisch gefeiert – »Der Planet dankt Marokko« titelte eine Zeitung. Das verweist auf den zweiten Aspekt der marokkanischen Klimapolitik. Sie bietet dem relativ kleinen Land die Chance, sich als Vorreiter im Bereich Klimaschutz und »grüne Technologien« zu profilieren und dadurch seine regio­nale und internationale Rolle zu stärken. Kurz nach dem Klimagipfel in Marrakesch wurde Marokko wieder in die Afrikanische Union aufgenommen, von der es wegen des Konflikts um die Westsahara 30 Jahre lang ausgeschlossen war. In Marrakesch hat Marokko ein neues Projekt zu Landwirtschaft und Anpassung an den Klimawandel vorgestellt, das zahlreiche afrikanische Staaten einschließt. Mit mehreren westafrikanischen Staaten hat Marokko Abkommen geschlossen, um jene bei der Einführung grüner Technologien und der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen.