»Gloria Bell« Sebastián Lelio

Sie tanzt und tanzt und tanzt

Seite 3 – Undramatische Klänge

Sicherheit (des Einkommens und der Familie) und Absicherung (des relativen Wohlstandes) sind die Koordinaten dieser gewöhnlichen Existenzen; entsprechend arbeitet Gloria als Angestellte bei einer Autoversicherung. Dass die bürgerliche Gesellschaft, die in der Welt des Films so nicht genannt wird, »komplex« ist, weiß man, aber allzu viel hat das mit den Figuren nicht zu tun. »Ich verstehe die Börse nicht«, sagt eine Freundin Glorias in einer Szene lax. Was sie hingegen interessiert, sind die Schwankungen in ihrem Rentensparplan.

Gewöhnlich sind auch die Tätigkeiten, die der Regisseur Sebastián Lelio in Szene gesetzt hat. Autofahrten, das Falten der Wäsche, das präkoitale Ablegen eines Bauchgürtels, den Arnold nach einer Magenoperation tragen muss und mit dessen Hilfe es ihm gelang, sein Übergewicht loszuwerden. Vorsichtige, ungelenke Gespräche, als sich Gloria und Arnold kennenlernen, stockend und ohne die geschliffene Intonation und Rhyth­mik sonstiger Filmdialoge. Arnolds Frage an Gloria – »Bist du immer so glücklich?« – und ihr »Nein« als Antwort unterstreichen das Alltägliche nur umso mehr.

Dass in der ersten Hälfte des Films im Grunde keine untermalende Musik gespielt wird – außer der Musik, die Gloria im Auto, im Tanzlokal oder in ihrer Wohnung hört –, ist Teil des Konzeptes des Soundtracks, das dem britischen Produzenten Matthew Herbert zu verdanken ist. Erst als Gloria Arnold kennenlernt, mithin in Situationen, in denen das Gewöhnliche durch das Außergewöhnliche kontrastiert wird, beispielsweise in Momenten von sich zu Liebe steigernder Sympathie, arbeitet Herbert mit gedämpften, undramatischen Klängen, ohne dass die Musik in diesen Passagen zum emotionalen ­Steroid oder bedingten Reiz für die Zuschauer wird.

Vom Liebesfilm als Genre scheint man heutzutage kaum mehr zu sprechen – und ob »Gloria Bell« in diese Kategorie fallen würde, ist ohnehin fraglich. Bemerkenswerterweise stellen die üblichen Genreregeln eher formalisierte affektive Strukturen in den Vordergrund als den Inhalt: das im Englischen so bezeichnete »Drama« ebenso wie die Akzentuierung des Lustigen in der »Romantic Comedy«.