»Gloria Bell« Sebastián Lelio

Sie tanzt und tanzt und tanzt

Seite 2 – Realismus des Gewöhnlichen

Gloria ist Mitte 40 und seit zwölf Jahren geschieden, die beiden Kinder, gespielt von Michael Cera und Caren Pistorius, sind bereits ausgezogen. Gloria tanzt in Etablissements, die für Berufsjugendliche, die Tanzen nur als das monotone Schwingen der Arme in einem vernebelten Technokeller kennen, vermutlich der Inbegriff der Spießigkeit sind. Hier treffen sich in die Jahre gekommene alleinstehende Männer und Frauen und ältere Paare, die sich gemeinsam vergnügen. Dabei kommt es zu mal mehr und mal weniger eleganten, dabei aber niemals respektlosen Flirtversuchen beider Geschlechter, während aller Wahrscheinlichkeit nach teure Drinks getrunken werden. Die Atmosphäre wirkt entspannt, die Rituale der Kontaktaufnahme scheinen allen Beteiligten bekannt.

Der Kontakt mit Männern scheint für Gloria allenfalls ein Nebeneffekt zu sein, nicht aber der Zweck der Tanzabende. Und so erzählt der Film fast schon nebensächlich die verhältnismäßig kurze Geschichte einer späten, weder lang ersehnten noch vehement abgewehrten Liebe zwischen Gloria und dem ungelenken, ebenfalls geschiedenen Arnold (John Torturro).

Der Film besticht durch einen Realismus des Gewöhnlichen, dem es weder um eine drastische oder unverstellte Darstellung geht noch darum, eine alltägliche Handlung schlicht als »interessant« herauszustellen, sondern eher um ein mimetisches Anschmiegen an die Wirklichkeit. Durchschnittlich ist das sprichwörtlich »mittlere« Alter der Protagonisten, die alle ein geregeltes Leben in der ökonomischen und kulturellen Mittelklasse – oder Klasse des Mittelmaßes – führen, wo Scheidung und Wiederheirat zur Normalität gehören.