Massenproteste in Russland

»Das sind Versuche, die Menschen einzuschüchtern«

Der Politologe Aleksandr Kynew über die Massenproteste in Russland und das Vorgehen der Sicherheitsbehörden.
Interview Von

Am Samstag haben in Moskau erneut Zehntausende Menschen gegen den Ausschluss oppositioneller und unabhängiger Kandidatinnen und -Kandidaten von den Moskauer Stadtparlamentswahlen am 8. September demonstriert. Man hört immer wieder, Stadträte und Regionalparlamente in Russland hätten eigentlich keine wichtige Funktion und die Massenproteste für die Zulassung unabhängiger Kandidatinnen und Kandidaten seien eher überraschend. Sehen Sie das auch so?
Nein. Das ist Propaganda, die bewusst und ständig verbreitet wird, damit die Menschen denken, diese Wahlen seien nicht wichtig. Damit sie nicht wählen gehen. Das ist einfach Manipulation.

Ist die Rolle der russischen Regionalparlamente mit der der Landtage in Deutschland vergleichbar?
Es gibt natürlich Unterschiede. Der Einfluss der legislativen Gewalt ist in Russland kleiner als in Europa. Das heißt aber nicht, dass diese Wahl keine Bedeutung hätte. Die deutschen Landtage wählen die Landesregierung. Die Moskauer städtische Duma wählt nicht die Stadtregierung. Trotzdem hat sie wichtige Vollmachten, zum Beispiel verabschiedet sie den städtischen Haushalt. Sie kontrolliert die Einhaltung des Haushalts, indem sie zum Beispiel den Rechnungshof besetzt. Der Haushalt von Moskau ist der größte in ganz Russland. Die städtische Duma kann Pläne zur Stadtentwicklung verabschieden.

Wenn unabhängige Abgeordnete den Haushalt kontrollieren könnten, wäre es dann auch leichter, die Korruption hoher Stadtbeamter aufzudecken oder zu verhindern?
Abgeordnete haben einen leichteren Zugang zu Informationen, zu Weisungen und zu Statistiken. Sie haben das Recht, Anfragen zu stellen, und die Beamten sind verpflichtet, darauf zu antworten. Sie haben das Recht auf Zutritt zu vielen Behörden. Natürlich kann ein Abgeordneter, der auch wirklich arbeitet, der Stadtverwaltung das Leben schwerer machen.