Alte, weiße Frauen an der Macht

Das Ende des Patriarchats

Es sollte niemanden überraschen, dass am Ende des Patriarchats nicht feministische Rebellinnen, sondern konservative, weiße, privilegierte Frauen an die Macht kommen – ein Grund zu verzweifeln ist das nicht.

Drei mächtige Frauen, die offenbar am Regieren Spaß haben: Dieses Foto von Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen ist zum Symbolbild weiblicher Machtergreifung geworden. »So haben wir uns das Ende des Patriarchats nicht vorgestellt«, titelte die Taz. ­Meine spontane Reaktion war: »Ich schon.« Wie sollte das Ende des Pa­triarchats denn bitteschön sonst aussehen?

Niemand hat versprochen, dass Frauen per se die besseren Menschen sind.

Dass Merkel, von der Leyen und erst recht Kramp-Karrenbauer »genauso schlimm wie die Männer« sind, ist ja kein Argument, selbst wenn es stimmen sollte. Niemand hat versprochen, dass Frauen per se die besseren Menschen sind. Aber ohne jeden Zweifel ist auf diesem Foto zu sehen, dass das Prinzip der Herrschaft von Vätern über Frauen und Kinder – und nichts anderes bedeutet ja »Patriarchat« – vorbei ist. Frauen haben heute Zugang zu allen gesellschaftlichen Machtpositionen, und zwar nicht nur in Ausnahmefällen, sondern reihenweise.

Vielen genügt das aber nicht. Dass einfach nur irgendwelche Frauen an die Macht kommen, gilt nicht, wenn sie nicht auch feministische Politik machen. Dass Diskriminierung formal abgeschafft wurde, ist nicht viel wert, wenn sie nicht auch tatsächlich und strukturell überwunden wird. Mit dem »Ende des Patriarchats« verbindet sich offenbar eine Utopie, in der nicht nur Frauen Gerechtigkeit widerfährt, sondern auch alle anderen Probleme gelöst sind: Solange Armut und Rassismus existieren und die Klimakrise nicht ernsthaft bekämpft wird, kann doch vom Ende des Patriarchats keine Rede sein! Und an dieser Argumentation ist natürlich was dran. Was nützen feministische Kämpfe, wenn am Ende nur die einen Deppen gegen andere Deppen ausgetauscht werden, aber ansonsten alles beim Alten bleibt?

Das Glaubenssystem wird brüchig

Doch es ist mehr passiert als das. Schon 1995 hat die italienische Philosophin Luisa Muraro in einem Text mit dem Titel »Freudensprünge« das Ende des Patriarchats ausgerufen. Sie beobachtete, dass manchmal gerade diejenigen, die sich am meisten für gesellschaftliche Veränderungen eingesetzt haben, nicht bemerken, wenn sich tatsächlich etwas ändert. Weil Feministinnen nur zu genau sehen, was alles noch im Argen liegt, laufen sie Gefahr, ihre eigenen Erfolge nicht zu würdigen und kleinzureden.

Das Patriarchat war nicht einfach nur eine Machtinstanz, sondern auch ein Glaubenssystem.

Zum Beispiel beim Thema ungewollte Schwangerschaften. Die jüngste Debatte um den Paragraph 219a hat in der Tat gezeigt, dass reproduktive Selbstbestimmung noch lange nicht verwirklicht ist. Aber sehr vieles ist bereits besser geworden. In den fünfziger Jahren waren Frauen, die ungewollt schwanger ­waren, in der Regel auf sich allein gestellt. Heute sind nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen besser, Betroffene haben auch gute Chancen, Beistand zu finden, sei es bei einer älteren Kollegin, der sie sich anvertrauen, einer Ärztin, mit der sie sprechen können, möglicherweise sogar bei ihrer Familie.

Es geht hier nicht um die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Luisa Muraro spricht vom »ersparten Leid«, das es wert ist, gewürdigt zu werden. Jede ungewollte Schwangerschaft, die nicht mehr zu einer persönlichen Katastrophe wird, ist erspartes Leid. Jede Stellenbesetzung, bei der eine Bewerberin eine faire Chance bekommt, ist erspartes Leid. Jeder Junge, der das ersehnte Glitzerkleid tragen darf, ist ein Fall von erspartem Leid.

Vom »Ende des Patriarchats« zu sprechen bedeutet nicht, dass es keine Ungerechtigkeiten mehr gibt, sondern dass eine spezifische Form der Herrschaft brüchig geworden ist. Das Patriarchat war nicht einfach nur eine Machtinstanz, sondern auch ein Glaubenssystem. Es funktionierte, weil es Autorität hatte. Weil die Menschen – fast alle, auch die Frauen – tatsächlich glaubten, dass Männer in der Regel stärker, besser und mehr wert seien. Weil fast alle dachten, es sei schon irgendwie in Ordnung, wenn diese die gesellschaftlichen Machtpositionen für sich reklamieren.

Eine Illusion schwindet

Aber das ist vorbei. Wenn überhaupt, hält sich das Patriarchat nur noch mit brutaler Gewalt auf den Beinen. Vieles trägt bereits im Alltag dazu bei, die patriarchale Ordnung zu beenden, ihr die Glaubwürdigkeit zu entziehen. Es sind Räume und Situationen entstanden, in denen patriarchale Prinzipien nicht mehr gelten. Die Versuche scheitern oft, aber selbst die Niederlagen sind nicht ohne Folgen. Und wenn man die Aufmerksamkeit auf das ersparte Leid legt, wird klar, dass diese Bemühungen nicht vergebens waren.

Mehr Frauen an der Macht werden das Klima oder Europa oder was auch immer nicht retten.

Genau deshalb ist das Bild der drei Politikerinnen wichtig. Denn die Möglichkeiten, dem Patriarchat den Boden zu entziehen, werden größer, je mehr Frauen sichtbar und präsent sind. Mitte der achtziger Jahre, als ich anfing, als Journalistin zu arbeiten, war meine Geschlechtszugehörigkeit noch ein echtes Manko. Ich war fast immer die Ausnahme, geduldet zwar, aber um den Preis kompletter Anpassung. Meine männlichen Kollegen konnten sich alles Mögliche erlauben, sie konnten links sein, radikal, merkwürdig, Originale. Von mir hingegen wurde erwartet, dass ich unauffällig bleibe, dass ich dankbar dafür bin, »als Frau« überhaupt dabei sein zu dürfen.

Dass nicht feministische Rebellinnen, sondern konservative, weiße, privilegierte Frauen die ersten sind, die am Ende des Patriarchats an die Macht kommen, war deshalb zu erwarten – andere hatten ja keine Chance. Aber das war eben nur der Anfang. Es hat den Boden dafür bereitet, dass heute längst auch andere politischen Erfolg haben – Frauen wie Greta Thunberg, Alexandria Ocasio-Cortez oder Carola Rackete. Dass sie sich von der herrschenden Ordnung abheben, ist keine zwangsläufige Folge ihrer »Weiblichkeit«, sondern beruht auf dem Erbe einer politischen, allerdings eben auch feministischen Kultur.

Weibliche Tugenden lassen sich nicht aus Körpern oder Geschlechts­identitäten ableiten, auch dafür steht das Foto von Merkel, Kramp-Karrenbauer und von der Leyen. Damit entlarvt es eine der zentralen Illusionen der patriarchalen Ideologie, fast schon ihr Fundament – man denke nur an all die Männer, die von ihrer »besseren Hälfte« sprachen, während sie selbst ihre »bösen« Seiten auslebten. Männer konnten sich in Kriegen und auf kapitalistischen Märkten egoistisch, unsozial und verantwortungslos aufführen, weil sich alle darauf verließen, dass Frauen (und andere »andere«) den Dreck wieder aufwischten und die Wunden zusammenflickten. Diese Illusion schwindet aber zusammen mit dem Patriarchat: Mehr Frauen an der Macht werden das Klima oder Europa oder was auch immer nicht retten, so viel ist sicher. Entweder kommen nun alle in die Puschen oder wir gehen gemeinsam unter.

Keine Rückkehr ins Paradies

Die Aufregung über das besagte Foto habe gezeigt, dass das Patriarchat noch längst nicht zu Ende ist, sagen manche. Das ist Unsinn: Es erregte Aufsehen, weil es einen realen Wandel, der sich in den vergangenen drei Jahrzehnten vollzogen hat, für alle sichtbar machte. Die Aufregung kam daher, dass jetzt auch die Allerletzten einsehen mussten, dass sich die Zeiten geändert haben.

Das Patriarchat ist vorbei. Was danach kommt, ist nicht ausgemacht.

Das Ende des Patriarchats ist keine Rückkehr ins Paradies, sondern das Ende einer spezifischen Ordnung. Was danach kommt, ist nicht ausgemacht. Die Kämpfe und Turbulenzen zeigen, was hier auf dem Spiel steht. Das Wüten von Patriarchen-Zombies wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan zeigt, was passiert, wenn diese versuchen, sich der Fesseln einer politischen Ordnung zu entledigen, in der alte Privilegien nicht mehr selbstverständlich sind. Es lohnt sich sehr, in diesem Zusammenhang die 1996 erschienene Flugschrift des Mailänder Frauenbuchladens »Das Patriarchat ist zu Ende« noch einmal zu lesen (auf Deutsch im Christel-Göttert-Verlag erschienen). Die Italienerinnen sahen darin genau dieses Chaos und sogar den aufsteigenden Rechtspopulismus vorher und dachten darüber nach, was Feministinnen in solchen Zeiten sinnvollerweise tun könnten, nämlich daran arbeiten, eine andere, eine »postpatriarchale« Ordnung zu schaffen.

Auf gar keinen Fall bedeutet das Ende des Patriarchats nämlich zugleich das Ende des Feminismus, wie manchmal gesagt wird. Ganz im Gegenteil: Es ist sein Anfang. Je mehr Einfluss und Macht Frauen haben, umso wichtiger ist es, was sie tun. Feminismus bedeutet nicht, dass Frauen dasselbe machen dürfen wie Männer. Sondern es geht um Freiheit (auch für Frauen), und um Gerechtigkeit und gutes Leben für alle fast acht Milliarden Menschen auf dieser Welt. Das Ende des Patriarchats war nur ein Etappensieg.