Alte, weiße Frauen an der Macht

Das Ende des Patriarchats

Seite 2 – Das Glaubenssystem wird brüchig

Doch es ist mehr passiert als das. Schon 1995 hat die italienische Philosophin Luisa Muraro in einem Text mit dem Titel »Freudensprünge« das Ende des Patriarchats ausgerufen. Sie beobachtete, dass manchmal gerade diejenigen, die sich am meisten für gesellschaftliche Veränderungen eingesetzt haben, nicht bemerken, wenn sich tatsächlich etwas ändert. Weil Feministinnen nur zu genau sehen, was alles noch im Argen liegt, laufen sie Gefahr, ihre eigenen Erfolge nicht zu würdigen und kleinzureden.

Das Patriarchat war nicht einfach nur eine Machtinstanz, sondern auch ein Glaubenssystem.

Zum Beispiel beim Thema ungewollte Schwangerschaften. Die jüngste Debatte um den Paragraph 219a hat in der Tat gezeigt, dass reproduktive Selbstbestimmung noch lange nicht verwirklicht ist. Aber sehr vieles ist bereits besser geworden. In den fünfziger Jahren waren Frauen, die ungewollt schwanger ­waren, in der Regel auf sich allein gestellt. Heute sind nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen besser, Betroffene haben auch gute Chancen, Beistand zu finden, sei es bei einer älteren Kollegin, der sie sich anvertrauen, einer Ärztin, mit der sie sprechen können, möglicherweise sogar bei ihrer Familie.

Es geht hier nicht um die Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Luisa Muraro spricht vom »ersparten Leid«, das es wert ist, gewürdigt zu werden. Jede ungewollte Schwangerschaft, die nicht mehr zu einer persönlichen Katastrophe wird, ist erspartes Leid. Jede Stellenbesetzung, bei der eine Bewerberin eine faire Chance bekommt, ist erspartes Leid. Jeder Junge, der das ersehnte Glitzerkleid tragen darf, ist ein Fall von erspartem Leid.

Vom »Ende des Patriarchats« zu sprechen bedeutet nicht, dass es keine Ungerechtigkeiten mehr gibt, sondern dass eine spezifische Form der Herrschaft brüchig geworden ist. Das Patriarchat war nicht einfach nur eine Machtinstanz, sondern auch ein Glaubenssystem. Es funktionierte, weil es Autorität hatte. Weil die Menschen – fast alle, auch die Frauen – tatsächlich glaubten, dass Männer in der Regel stärker, besser und mehr wert seien. Weil fast alle dachten, es sei schon irgendwie in Ordnung, wenn diese die gesellschaftlichen Machtpositionen für sich reklamieren.