Repression gegen russische Oppositionelle

Ausschließen und einsperren

Oppositionelle Kandidaten wurden für die Moskauer Stadtparlaments­wahlen nicht zugelassen. Bei Protesten kam es erneut zu Massenfestnahmen.

Im September finden in Moskau Stadtparlamentswahlen statt – ohne die Opposition. Die Wahlkommission lehnte 57 Kandidaturen ab, darunter auch die führender liberaler Politiker und Politikerinnen der russischen Hauptstadt. Weil diese sich nicht mit ihrem Ausschluss abfinden wollten und zu Protest aufriefen, wurden einige von ihnen zu Administrativhaft zwischen sieben und 30 Tagen verurteilt. Es laufen Ermittlungen wegen Behinderung der Wahlkommission, gegen neun Personen wurde Anklage wegen Beteiligung an Massenunruhen und Gewaltanwendung gegen Poli­zeibeamte erhoben. Darauf stehen bis zu acht beziehungsweise fünf Jahre Haft.

»Wir sind unbewaffnet«, riefen Protestierende im Zentrum Moskaus am 27. Juli. Ihnen standen behelmte, uniformierte Polizeikräfte und Angehörige der Nationalgarde gegenüber. Es gab 1.373 Festnahmen und etliche verletzte Demonstrierende. Die Demonstrationsteilnehmer hatten freie Wahlen und die Zulassung oppositioneller Kandi­daten gefordert. Eine Woche zuvor hatten über 20.000 Menschen an einer genehmigten Protestkundgebung teilgenommen, für den 27. Juli aber lag keine Genehmigung vor. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin behauptete, es sei zur Stürmung seines Amtssitzes aufgerufen worden. Überhaupt liege die eigentliche Absicht der abgelehnten Kandidaten darin, auf illegi­time Weise die Macht an sich zu reißen.

In einem Dokument der zuständigen Behörde lautet die Begründung für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen sechs Männer wegen »Massenunruhen«, die Wahlen dienten als Vorwand, bewaffneten Widerstand gegen Staatsvertreter zu leisten. 84 Ermittler befassen sich bislang mit der Angelegenheit, die Anzahl der Angeklagten dürfte steigen. Ein Polizist wurde verletzt, nun soll sich ein Verdäch­tiger wegen lebensgefährlicher Gewaltanwendung verantworten. Doch es kam am 27. Juli nicht zu Massenunruhen oder gar einem bewaffneten Aufstand. Einer der Verdächtigen hatte ein Messer im Rucksack dabei, ein anderer hatte aus Jux einem Polizisten an den Helm gefasst, einer mit einer Plastikflasche geworfen und einer war noch auf dem Weg zur Kundgebung festgenommen worden.

Die Machtfrage stellt sich nicht

Letzterer, Alexej Minjajlo, gehört zum Team der Oppositionpolitikerin Ljubow Sobol. Sie ist Juristin und ar­beitet für einen Fonds des Oppositionellen Aleksej Nawalnyj zur Bekämpfung von Korruption; Nawalnyj, weil vorbestraft, darf nicht bei Wahlen antreten. Sobols Kandidatur wurde wie die anderer aus formalen Gründen abgelehnt. Wer nicht von einer im Parlament vertretenen Partei aufgestellt wird, muss Unterschriften Tausender Stimmberechtigter vorlegen. Das bewältigte die Opposition mit enormem logistischem Aufwand, aber nicht alle Angaben hielten der folgenden behördlichen Prüfung stand. Es ist leicht, Unterschriften für ungültig zu erklären: Bei der Eingabe im Suchfeld des Melderegisters wird eine weibliche Endung zu einer männlichen oder einfach ein Buchstabe vertauscht – und schon lautet das Ergebnis »nicht gefunden«.

Der Moskauer Führungskreis will offenbar verhindern, dass auch nur auf lokaler Ebene kritische Kräfte in die Institutionen gelangen. Schon jetzt ist absehbar, dass einer der größten poli­tischen Strafprozesse der jüngsten Zeit bevorsteht, vergleichbar mit dem ­Bolotnaja-Fall, als 2012 ähnliche Anschuldigungen gegen Oppositionelle erhoben wurden, die gegen die Rückkehr von Wladimir Putin ins Präsidentenamt protestiert hatten. Allerdings ist die Atmosphäre eine andere, denn die Zustimmung in der Bevölkerung für Putin ist auf 49 Prozent gesunken, den tiefsten Stand, seit er Präsident ist. Die Machtfrage stellt sich vorerst trotzdem nicht.

Dennoch gehen die Proteste weiter. Am 3. August wurden mehr als 1.000 Menschen festgenommen. Wegen Beteiligung an Massenunruhen sind bereits neun Personen in Haft, dazu eine weitere, die der Gewalt gegen einen Polizisten am 3. August ver­dächtigt wird. Für den kommenden Samstag verhandeln Oppositionelle über eine legale Großkundgebung, während die Wahlkommission in Aussicht stellt, den Ausschluss des Lokal­politikers Sergej Mitrochin von der linksliberalen Partei Jabloko zurückzunehmen. Doch werden allenfalls tak­tische Zugeständnisse gemacht, die die Machtverhältnisse nicht in Frage stellen, während Repression und Schikanen andauern. So wurden Ermittlungen ­gegen Nawalnyjs Fonds wegen Geldwäsche eingeleitet.