Systemwechsel statt »Green New Deal«

Klima oder Kapitalismus

Seite 2 – Abschied vom Schlaraffenland

Aus kapitalismuskritischer wie radikalökologischer Sicht ließe sich das linkspopulistische Gejammer über Globalisierung und Neoliberalismus zerpflücken, dem der kapitalkonforme Ruf nach dem starken Staat folgt, der mit Konjunkturprogrammen das Wachstum anheizen und für mehr Lohnar­beit sorgen soll. Grün ist am auch von vie­len Linken eingeforderten Green New Deal gar nichts. Das Ziel müsste vielmehr sein, die Rüstungsindustrie komplett abzuschaffen und die Produktion in Branchen wie der Auto-, Luftfahrt- und Chemieindustrie stark zu reduzieren. Global betrachtet würde das Millionen von Arbeitsplätzen kosten, auch wenn für die Beseitigung aller Umweltschäden oder eine ökologische Landwirtschaft mehr Arbeitskraft benötigt wird. In einer Gesellschaft jenseits von Kapitalverwertung und Lohnarbeit wäre das kein Problem. Niemand müsste deswegen Mangel leiden.

Allerdings müssten Linke sich von der Idee verabschieden, eine postkapitalistische Gesellschaft könne ein Schlaraffenland sein. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen, wie das Motto von Marx und Kropotkin lautete, kann nur heißen: Dank modernster Produktionsmittel arbeiten wir wenig, führen ein Leben in Muße, frei von allen materiellen Sorgen, wie es die Mehrzahl der Menschen bislang nicht kannte. Ludwig Erhards Wahl­versprechen »Wohlstand für alle«, stetig wachsender Konsum von beliebigen Gütern, lässt sich jedoch nicht erfüllen. Ein eigenes Auto oder Flugreisen für alle acht bis neun Milliarden Menschen, die nach gegenwärtigen Prognosen in den kommenden Jahrzehnten die Welt bevölkern werden, sind nicht drin, auch nicht mit modernster Technik.

Mit einer Hymne auf die Segnungen von Atomkraft und Gentechnik in den Händen der siegreichen Arbeiterklasse begann Jürgen Elsässer einst seinen Marsch nach rechts. Das kann sich wiederholen. Schon heute bietet der Neo­faschismus ein Panoptikum aus Naturmystikern, Verschwörungsideologen, die den Treibhauseffekt leugnen, und Neomalthusianern, die über unterschiedliche Reproduktionsstrategien schwadronieren und fordern, Deutschland müsse die Grenzen schließen, um die Afrikaner zu einer »ökologisch nachhaltigen Bevölkerungspolitik« zu bewegen. Der Neofaschismus könnte alle um sich scharen, die im globalen Norden ein zerstörerisches Konsummodell verteidigen.