Dem Putschversuch in Äthiopien folgt eine Regierungskrise

Exklusive Ethnien

Seite 2 – Schüsse in die Menge

Verglichen mit den Unruhen in anderen Regionen des Landes in den vergangenen zwei Jahren waren die Auseinandersetzungen in der Sidama-Zone allerdings bislang nahezu glimpflich verlaufen. In den neun föderalen Verwaltungsregionen Äthiopiens gibt es nahezu jede Woche gewaltsame Konflikte. 2018 führte eine paramilitärische Regionalpolizei in der Somali-Region ethnische Vertreibungen an. In den Jahren 2015 und 2016 wurden bis zu 1 000 Protestierende in anderen Verwaltungsregionen des Landes getötet, insbesondere in Oromia. Wie dieser Tage in Sidama war es zu Zusammenstößen mit nationalen Sicherheitskräften gekommen, die teilweise wahllos in die Menge schossen. Human Rights Watch zufolge hatte die Regierung bis 2018 nichts unternommen, um gegen die für das Massaker Verantwortlichen zu ermitteln.

Doch die politischen Verhältnisse in Äthiopien haben sich seit den blutig niedergeschlagenen Protesten in Oromia gewandelt. Ministerpräsident Abiy Ahmed, seit dem 2. April 2018 im Amt, hob den im Oktober 2016 erstmals verhängten und mehrfach verlängerten Ausnahmezustand auf, der die Befugnisse der Ordnungskräfte für bewaffnete Einsätze und Festnahmen erweitert und das Versammlungsrecht beschnitten hatte.

Abiy, der Vorsitzende der regierenden Parteienkoalition Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (EPRDF), hat seit Beginn seiner Amtszeit für einige positive Überraschungen gesorgt und wurde für seine Reformpolitik international gelobt: Er schloss Frieden mit dem Erzfeind Eritrea, entließ zahlreiche Funk­tionäre der Vorgängerregierung unter Hailemariam Desalegn (der im Februar 2018 zurückgetreten war), ließ politische Gefangene frei, machte das Foltergefängnis Maekelawi zu und gestand in einer Parlamentsrede ein, dass die Regierung in der Vergangenheit Folter und andere rechtswidrige Methoden bei Verdächtigen angewandt hatte. Auf dem Index für Presse- und Meinungsfreiheit der NGO Reporter ohne Grenzen überholte Äthiopien 40 Staaten und kam auf Platz 110, nachdem Abiy die Rückkehr von Fernsehsendern aus der Diaspora erbeten sowie Journalisten freigelassen hatte und die Blockierung von mehr als 250 Websites aufheben ließ.