Streit um Sterbehilfe

Das Recht aufs Gift

Seite 4 – »Druck zum ›Freitod‹«

Befürworter wie Gegner nehmen sehr grundsätzliche Positionen ein. Die einen wollen verhindern, dass Hilfe beim Suizid enttabuisiert und zum normalen Geschäft wird. Sie wollen erreichen, dass Sterbehilfevereine wie Dignitas keine Geschäftsgrundlage in Deutschland haben. Der Verein »Sterbe­hilfe Deutschland«, einer der Verfassungskläger, sieht dagegen ein »Recht auf Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug« und wertet das BGH-Urteil als »epochale Abkehr« vom seit dem Peterle-Urteil geltenden Recht.

So hoch die Selbstbestimmung zu bewerten ist – die Debatte über Sterbehilfe hat immer auch eine nützlichkeitsethische Ebene. In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der sich der Wert eines Menschen vor allem an seiner Verwertbarkeit bemisst, und einem Gesundheitssystem unter Wirtschaftlichkeitszwang besteht die Gefahr, dass aus der Angst, zur Last zu fallen, der »Druck zum ›Freitod‹« wird, wie die Journalistin Ulrike Baureithel es formuliert. Sterbehilfe »rüttelt an einem fundamentalen gesellschaftlichen Tabu, dem Tötungsverbot«, schreibt sie in den Blättern für deutsche und inter­nationale Politik. Bei dem im ersten Moment selbstlos anmutenden Wunsch, einen schwerkranken und pflegebedürftigen Angehörigen »von seinem Leid zu erlösen«, schwingt eben auch mit, sich selbst von einer Last erlösen zu wollen.

»Beistand und Fürsorge statt Hilfe zur Selbsttötung«, forderte Rudolf Henke, der Vorsitzende des Marburger Bunds, des Berufsverbandes der angestellten Ärzte. Das wäre durchaus eine Option – wenn im Gesundheits- und Pflegesystem die Rahmenbedingungen geschaffen würden, ein würdevolles Altern und Sterben zu ermöglichen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird für den Herbst erwartet. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov sprachen sich im April 75 Prozent der Befragten für die legale passive Sterbehilfe aus, 67 Prozent für die aktive.