Streit um Sterbehilfe

Das Recht aufs Gift

Seite 2 – Kurswechsel der Rechtssprechung

Damit hat der Bundesgerichtshof den Willen von Patientinnen und Patienten gestärkt – und seine alte, seit 35 Jahren geltende Rechtsprechung geändert. 1984 hatte das Gericht im so­genannten Peterle-Urteil noch anders entschieden und einen Arzt verurteilt, der seine Patientin, die sterben wollte und sich mit Morphium über­dosierte, in den Tod begleitet hatte, anstatt die Lebensrettung einzuleiten.

Die juristische Einordnung der Sterbe­hilfe ist kompliziert. Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes garantieren nicht nur das Recht auf Leben und Menschenwürde, sondern umfassen auch das Recht, frei und bewusst selbst zu entscheiden, das eigene Leben zu beenden, sagt das Bundesverwaltungsgericht. Die Beihilfe zur Selbsttötung, zum Beispiel das Besorgen eines in hohen Dosen tödlichen Medikamentes, ist nicht strafbar, wenn die sterbende Person eindeutig ihren Willen bekundet hat.

Auch passive Sterbehilfe, also das Unterlassen lebensrettender Maßnahmen, oder die indirekte Unterstützung, die Beendigung von Therapien, sind nicht strafbar, wenn es der Wunsch des oder der Sterbewilligen ist. Aktive Sterbehilfe, das Beenden eines Lebens durch andere Hand als die des Sterbewilligen, ist in Deutschland strafbar, auch, wenn sie auf Verlangen vollzo­gen wird. In den Benelux-Ländern und in der Schweiz ist sie legal.

Auch andere Regelungen und Urteile stärken den Patientenwillen, wenn es um den eigenen Tod geht. Seit 2009 können Menschen per Patientenverfügung festlegen, inwiefern lebensrettende oder -erhaltende Maßnahmen angewandt oder unterlassen werden sollen, wenn sie ihren Willen nicht mehr bilden oder äußern können. 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass sich aus dem Recht auf Suizid »im ­extremen Einzelfall« auch ergibt, »dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerz­lose Selbsttötung ermöglicht«.