Die junge Frau als Heldin

Oh Captain, mein Captain

Seite 4 – Spektakel, Autonomie, Dekadenz
Essay Von

Die weitgereisten Frauen (auch wenn sie, wie Greta »Captain Climate« Thunberg, auf besonders umweltschädliche Verkehrsmittel verzichten) verbinden die Autarkie des bösen mit der moralischen Vernunft des guten Kapitäns. Wenn Italiens Innenminister Matteo Salvini Captain Rackete nicht nur eine »verwöhnte deutsche Kommunistin«, sondern auch eine »kriminelle Kapitänin« nennt, dann ehrt er mehr, als er schmäht.
Denn alle diese Frauen, die von den bösen alten, weißen Männern beschimpft werden, als wären sie des Teufels, können es sich leisten, mit einer anderen Eigenschaft zu reagieren, die vordem vor allem den, wenngleich etwas derangierteren, Männern zugeschrieben wurde: Coolness. Die coolen Riposten der neuen Heldinnen machen um so deutlicher, dass die Männer wiederum von einem Defekt befallen sind, den man früher den Frauen zugeschrieben hat – der Hysterie.

Bösartige, hysterische alte Männer, die sich mitsamt ihren Gefolgschaften in immer weiter schrumpfenden Ter­ritorien einigeln und von der Welt um so weniger mitkriegen, je lauter sie gegen sie anschreien, gegen weltfahrende, mutige, coole und autarke Kapitäninnen. Sicher, erstens ist die Wirklichkeit wieder einmal komplizierter, und zweitens gewinnen meistens die Bösen. Aber wenigstens haben wir wieder eine Geschichte, die Hoffnung macht und rebellische Geister wecken kann.

Natürlich könnte man fragen, ob diese Frauen, die sich dadurch auszeichnen, in angespannten Situationen genau das Richtige zu tun, und dabei vor der Gefahr nicht zurückschrecken, als einzelne, als Ausnahmen, herausgehoben werden sollten (so funktionieren nun einmal Medien). Sind sie nicht vielmehr in Wahrheit in einem pars pro toto Repräsentantinnen einer großen sozialen Bewegung, die langsam, aber sicher zu einem neuen Selbstbewusstsein und einer neuer Stärke findet? Eine solche Bewegung besteht aus vielen Menschen mehrerlei Geschlechts, die gegen die maskulinistische Faschisierung der Welt eben jene dringend nötige Zivilcourage zeigen.

Wenn dem so ist, sollte man den Medien nicht erlauben, ihre Sommerlöcher zu füllen und ihre Ideenlosigkeit zu überspielen, indem sie einen neuen Heldinnenkult pflegen, der jene Menschen isoliert, die gerade darauf aus sind, Solidarität, Empathie und Gemeinsamkeit zu fördern. Denn dann könnte sich der durchaus verdiente Heldinnenstatus als vergiftetes Geschenk der Mainstream-Medien erweisen: Ein Heldinnenstatus, der sich rascher verbraucht, als er nutzbar gemacht werden kann.

Allerdings: Von solchem Nutzen muss im Zeitalter des Spektakels durchaus die Rede sein. Carola Rackete, Alexandria Ocasio-Cortez und Megan Rapinoe haben Männerherrschaften herausgefordert. Und diese schlagen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zurück. Öffentlichkeit und Heldinnenstatus sind ein wichtiger Schutzschirm, die Bilder und Narrative der Medien verstärken das Band zwischen den einzelnen und den vielen, die sich gegen die schlechten Verhältnisse zur Wehr setzen.