Die preisgekrönte Reportage

Paarungszeit in der SPD

Wer wird den SPD-Parteivorsitz übernehmen? Vollkommen wurscht, Hauptsache es wird eine Doppelspitze. Das Spitzenpersonal lässt sich so einfach schneller verschleißen.
Kolumne Von

Wer in diesen Tagen durchs Willy-Brandt-Haus schlendert, wird überrascht sein. Wo früher ergraute Funktionäre und unerschütterliche Büttel des Sachzwangs abgegriffene Aktenordner durch die Gänge trugen, wo sich überall Depression und Niedergang zeigte und selbst die Spinnen in den Ecken nichts mehr zu netzwerken hatten, erblühen nie gekannte Frühlingsgefühle. Lachende Pärchen turteln Hand in Hand auf den Treppenabsätzen und verschwinden kichernd in den Aufzügen. Man hört Vögelgezwitscher vom Band und auch der in den Augenhöhlen der Willy-Brandt-Statue montierte Springbrunnen wurde wieder eingeschaltet. Das Wasser sprudelt also wieder – und sonst?

»Nimm zwei«, das ist das offizielle Motto der Wahlen zum SPD-Parteivorsitz, abgesegnet vom kommissarischen Vorsitzenden Thorsten Sch.-G. (parteilos). »Weil ja eh schon alles wurscht ist«, wird er zitiert. Da sich niemand den Schuh anziehen möchte, für das unabwendbar einstellige Wahlergebnis 2019 verantwortlich zu sein, heißt man bei den Parteioberen nun Kandidaturen aus allen Richtungen willkommen. »Nur Pärchen müssen es sein«, sagt Sch.-G. »Wir haben noch so viele Top-Leute, die jetzt kurz vor Schluss verschlissen werden müssen. Das geht im Doppelpack einfach schneller.«

Ähnlich wie in der Geschichte von Noahs Arche, wo Pärchen kurz vor der Apokalypse zusammenfanden, setzt die SPD in diesen Tagen also auf die Macht der Zweisamkeit. Zuerst war es die Bielefelderin Christina K., ehemalige Landesfamilienministerin, die sich zusammen mit Michael R., Staatsminister im Auswärtigen Amt, um die beliebten Schleudersitze in der vordersten Reihe bewarb. Dann brachten sich Gesine Sch. und Kevin K. ins Gespräch. Jung und alt, Frau und Mann, Jungkommunist und Professorin – plötzlich können alle mit allen. Leute, die sich vor kurzem in parteiinternen Kleinkriegen noch gegenseitig an die Gurgel gegangen wären, streicheln sich nun für Fotos sanft übers Haar. »Das Phänomen nennt sich Angstblüte«, sagt der Altersbiologe Peter Sch. »Kurz vor dem endgültigen Absterben eines Organismus wird noch einmal gepaart, was das Zeug hält – einfach, um überhaupt noch etwas zu fühlen.«