Labour und der Brexit

Corbyn will es allen recht machen

Seite 2 – Der Einfluss der Gewerkschaften

Gruppierungen innerhalb der Partei wie »Another Europe is Possible« und Momentum, die sich vorwiegend aus proeuropäischen, jungen Unterstützern Corbyns zusammensetzen, hatten in den vergangenen Jahren die Parteiführung immer wieder gedrängt, sich für den Verbleib in der EU auszusprechen. Corbyns scheinbare Kehrtwende sehen sie als Erfolg ihrer Bemühungen.

Wenn Labour ein zweites Referendum unterstütze, sei dies eine »schlechte Nachricht für die Demokratie«, könne zu einem »Wahldesaster« führen und mache zudem die Trennung der Partei von den »Traditionen der Arbeiterklasse irreversibel«, schreibt Peter Ramsay in der linksnationalistischen, der KP nahestehenden Tageszeitung Morning Star. Ein Teil der Wählerschaft betrachte die EU als Projekt einer »neoliberalen Elite«, die für die Probleme im Land verantwortlich sei, und empfindet die Ablehnung des EU-Austritts als Verrat. Diese Leute hatte Corbyn bislang nicht verprellen wollen.

Die Ablehnung der EU ist auch in den Gewerkschaften weit verbreitet. Sie sind wichtige Unterstützer der Parteiführung unter Corbyn und haben bisher dessen Position maßgeblich beeinflusst. Auch Corbyns E-Mail ist ein Resultat von Verhandlungen mit führenden Gewerkschaftern. Sie beschreibt auch ein zweites Szenario: Falls Labour regiert, soll es auf jeden Fall ein zweites Referendum geben. Ob die Partei sich dann gegen den EU-Ausstieg aussprechen würde, bleibt allerdings offen.

Corbyn will es allen Mitgliedern und Wählergruppen recht machen. Die Annäherung an eine »Remain«-Position soll proeuropäische Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen, die bei den Europawahlen im Mai für die Liberaldemokraten oder die Grünen gestimmt hatten, die sich beide für den Verbleib in der EU aussprachen. Den EU-feindlichen Wählern und Wählerinnen suggeriert man hingegen, eine Labour-Regierung könne ein neues Aus­trittsabkommen aushandeln, das den Arbeitern zugute käme. Ob diese noch immer alles andere als eindeu­tige Haltung der Partei zum ­EU-Austritt nutzen wird, ist fraglich. Zudem muss sie sich infolge einer BBC-Reportage erneut öffentlich mit dem Antisemitismus in ihren Reihen auseinandersetzen.

Die Tories müssen zunächst das Ergebnis der Wahl des Vorsitzenden abwarten, das am 23. Juli verkündet werden soll. Ein Sieg Boris Johnsons gilt als sicher, als Premierminister hat er dann wohl nur die Wahl zwischen dem für die Tories riskanten Versuch, sich durch Neuwahlen oder ein zweites Referendum zu legitimieren, und der noch brisanteren Suspendierung des Parlaments – eine Möglichkeit, die Johnson sich explizit offen halten möchte. Er werde »nichts vom Tisch nehmen«, sagte er jüngst.