Der völkische »Flügel« in der AfD

Bauchredner der Parteiseele

Seite 3 – Wiedergänger von Bismarck und Barbarossa

Der von und um Höcke betriebene Personenkult gilt in der Partei allerdings als öffentlich schwer vermittelbar. Wenn der Mann aus Thüringen sich auf der Bühne als Wiedergänger von Bismarck und Barbarossa geriert, seine Stimme tremolieren lässt, tiefste Demut vor dem Volke bekennt und dabei vor Selbstergriffenheit fast weint, wirkt er wie die Karikatur eines faschistischen Rhetors. Dieser völkische Klamauk stört offenbar auch Parteikollegen; Helmut Seifen, der ehemalige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der AfD, verglich Höcke gar mit Joseph Goebbels. Mit dem AfD-Kulturpolitiker Marc Jongen und dem Histo­riker Stefan Scheil haben auch zwei altgediente Wegbegleiter des neurechten Instituts für Staatspolitik den »Appell der 100« unterzeichnet.

Höcke muss sich auf das Spiel seiner Gegner nicht einlassen. Er prägt die Partei längst, ohne den Bundesvorsitz innezuhaben.

Jongen hält es beispielsweise für unklug, die »nach wie vor großen regionalen Unterschiede in Deutschland auszublenden«. Im Westen besteht kein Interesse an einem »Thüringer Weg« hin zu einer Lega Ost. Deshalb ist das Vorhaben, Höcke zu einer Kampfkandidatur herauszufordern, nicht völlig abwegig. Die AfD hat im Osten zwar ihre Hochburgen, doch selbst in Sachsen kann von einer flächen­deckenden kommunalen Verankerung kaum die Rede sein. Die AfD ist generell ein politischer Stimmungsverstärker mit einem niedrigen Organisationsgrad. In den mitgliederstärkeren Landesverbänden im Westen wird der Streit über den »Flügel« besonders scharf ausgefochten. In Schleswig-Holstein wurde Höckes Verbündete Doris von Sayn-Wittgenstein nur mit denkbar knapper Mehrheit als Landesvorsitzende wiedergewählt.

Höcke muss sich auf das Spiel seiner Gegner allerdings nicht einlassen. Er prägt die Partei längst, ohne den Bundesvorsitz innezuhaben. Seine einstige Intimfeindin Alice Weidel hat mit ihm jüngst vereinbart, wechselseitige öffentliche Angriffe zu unterlassen. Stilkritiker wie Jongen fordern kaum mehr als »eine andere Wortwahl und ein anderes Auftreten«. Inhaltliche Einwände sind die Ausnahme. Auch Meuthen spricht nicht nur im Wahlkampf längst die Sprache des »Flügels«. Der thürin­gische Landesvorsitzende hat bisher jedes Ausschlussverfahren überstanden. Die ehemaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry wollten den Mitgliedern par ordre du mufti den rechten Weg verordnen. Höcke tritt stattdessen als Bauchredner der Parteiseele auf und richtet den Zorn gegen »die da oben« – auch in den eigenen Reihen.

Derzeit ist dieser Stil umstritten. Aber Kritikern wie Meuthen dürfte die Selbstgewissheit bereits vergangen sein. Er wurde von seinem baden-württembergischen Ortsverband nicht zum wahlberechtigen Delegierten für den kommenden Bundesparteitag gewählt und wohl auch wegen seiner Distanz zum Schattenvorsitzenden der AfD abgestraft. Offenkundig ist es Höcke und seinen Anhängern gleichgültig, wer unter ihnen den Bundesvorsitz verwaltet. Und nicht wenige AfD-Funktionäre aus dem Westen dürften bereits eine parteiinterne Jagdsaison fürchten – spätestens nach den Landtagswahlen.