Rechte Reaktionen auf den Mord an Lübcke

»Hexenjagd und Pogromstimmung«

Nach dem Mord an Walter Lübcke stilisieren sich Rechtsextreme zu den eigentlichen Opfern des Attentats.

Das Stimmungsbild geriet aufschlussreich. Eine Reporterin des ARD-Politmagazins »Kontraste« hatte für einen Beitrag in der Sendung der vergangenen Woche eine Pegida-Demonstration in Dresden besucht, um dort Meinungen zum Mordfall Walter Lübcke einzuholen. Während sich der Pegida-Vorsitzende Lutz Bachmann trotz wiederholter Nachfragen nicht inhaltlich vor der Kamera äußern wollte, wurden seine Anhänger deutlich. »Im Vergleich zur linksextremen Gefahr ist ein Mord – was weiß ich – alle zwei, drei Jahre aus ­irgendwelchen Hassgründen relativ normal«, sagte ein Demonstrationsteilnehmer dem Fernsehteam. »Ich sehe den Herrn Lübcke als Volksverräter«, bekundete ein anderer seine Meinung. Eine »menschliche Reaktion« sei der Mord, denn: »Wie in den Wald hineingerufen wird, so schallt es wieder ­heraus«, äußerte sich ein dritter Mann. »Müssen Sie sich bei Frau Merkel ­bedanken«, variierte ein weiterer Pegida-Anhänger die altbekannte Parole ­»Danke, Merkel«.

»Alles wie NSU: Tiefstaat, Nazischauspieler, keine Beweise«
Compact zum Mord an Lübcke

So schloss sich gewissermaßen der Kreis. Schließlich waren es Anhänger des Kasseler Pegida-Ablegers Kagida gewesen, die im Oktober 2015 gezielt eine Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden anlässlich der Eröffnung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge mit Zwischenrufen gestört hatten. Daraufhin hatte Lübcke mit dem vielzitierten Satz geantwortet: »Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.« Es folgte eine rechtsextreme Hetzkampagne ­gegen den CDU-Politiker.

Der damals ebenfalls anwesende Stephan E. ließ mutmaßlich fast vier Jahre später auf die Worte von Kagida Taten folgen und erschoss Lübcke in der Nacht auf den 2. Juni vor dessen Haus – das legen zumindest die Ermittlungen der Polizei und ein inzwischen widerrufenes Geständnis des Festgenommenen nahe.

Auf den Mord reagierten extreme Rechte mit zahlreichen weiteren Schmähungen gegen Lübcke – vor allem in den sozialen Medien. Auf Facebook und Twitter waren Sätze wie »Es hat den Richtigen getroffen« oder »Und wieder einer weg« keine Seltenheit.

Auch in den wichtigen Medien der sogenannten Neuen Rechten ist der Mord ein großes Thema, etwa in der Wochenzeitung Junge Freiheit. Deren Chefredakteur Dieter Stein forderte einerseits, dass über die »rechtsterro­ristische Gefahr gesprochen werden« müsse, bezeichnete aber andererseits den »Versuch politischer Konkurrenten, die AfD für den Mord mitverantwortlich zu machen«, als »perfide«. Ähnlich äußerte sich der Autor Thorsten Hinz, der die Tat als »abscheulich« bezeichnete, aber zugleich eine vermeintliche »Hexenjagd gegen die AfD« beklagte. Der Mord sei »der willkommene ­Anlass für die periodisch fällige Exorzismusübung«; das »Stürmer-Vokabular« und die »Pogromstimmung« seien »keine situativen Überhitzungen«, sie hätten System, schreibt Hinz, so dass sein Artikel vor allem eines suggeriert: Die AfD und andere Rechtsextreme sind die eigentlichen Opfer der Affäre. So ganz scheint die Redaktion jedoch nicht von der Unbescholtenheit der Partei überzeugt zu sein: Mehrere Autoren der Jungen Freiheit sprachen sich im Zuge der Diskussion dafür aus, dass die AfD etwa Mitglieder mit einer Vergangenheit in Neonazigruppen ausschließen beziehungsweise Personen mit einer derartigen Vita erst gar nicht aufnehmen solle.

Politically Incorrect lamentiert über »Gewalt­phantasien des Establishments«.

Das neurechte Monatsmagazin Compact kam im Fall Lübcke zunächst zu dem Schluss: »Alles wie NSU: Tiefstaat, Nazischauspieler, keine Beweise«. ­Bereits bei der Thematisierung des NSU-Komplexes hatten die Blattmacher eine große Verschwörungs­theorie entworfen, in der auch die CIA und die paramilitärische Nato-Geheimorganisation Gladio eine ­gewichtige Rolle spielten, und die Freilassung von ­Beate Zschäpe gefordert. Mit Spekulationen geizten die Autoren auch im Fall Lübcke nicht: In einer eilig produzierten Artikelserie mutmaßten sie unter anderem über einen vertuschten Selbstmord, eine Inszenierung und die Beteiligung der Mafia oder ausländischer Geheimdienste. Stephan E.s vorläufiges Geständnis beendete die spekulative Artikelreihe allerdings abrupt. Den Widerruf des Geständnisses wertete das Magazin zwar als »sensationelle Wende«, es musste aber ein­gestehen, dass der Verdächtige weiterhin »schwer belastet« bleibe. Zudem kündigte Compact an: »Ein Redaktionsteam von uns ist derzeit in Nord­hessen auf Spurensuche und für Zeugenbefragungen unterwegs.« Das ­Ergebnis der »kriminalistischen Aufklärung« will das Magazin seinen ­Lesern bald präsentieren.

An einer genauen Aufklärung der Tat­umstände scheinen manche rechtsextreme Medien gar nicht interessiert zu sein. Auf dem Portal »Politically Incorrect« ist über den aktuellen Stand der Ermittlungen wenig zu ­lesen. Stattdessen finden sich lamentierende Texte über die »Gewalt­phantasien des Establishments« und die derzeitige »Repression«. Der ­Tenor auf der Seite: Die »Altparteien« und das »Machtkartell« instrumen­talisierten den Mord an Lübcke – wie im Fall des NSU ein »Fake des Verfassungsschutzes« –, um gegen »Rechte« vorzugehen.

Anlass für diese Selbststilisierung des Milieus als eigentliches Opfer ist unter anderem die Mitteilung des hessischen Landeskriminalamts (LKA), dass wegen Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung im Internet mit mehreren Tausend Strafverfahren zu rechnen sei. Das LKA hat wegen ­solcher Delikte, die sich nach dem Bekanntwerden des Mordes häuften, eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet. Einige Strafverfahren laufen bereits, unter anderem wegen eines »demütigenden Eintrags in einem Kondolenzbuch«, berichtete die »Hessenschau«. Auch die sächsische Polizei ist inzwischen tätig geworden. Der Staatsschutz ermittelt gegen jene ­Pegida-Anhänger, die sich in dem Beitrag von »Kontraste« äußerten, ­wegen »Belohnung und Billigung von Straf­taten«.

In den Mordermittlungen selbst gibt es neue Erkenntnisse. So berichtet der Rechercheverbund von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung über Angaben, die Stephan E. in seinem später zurückgezogenen Geständnis gemacht haben soll. Demnach soll der Tatverdächtige bereits 2017 und 2018 mindestens zweimal mit einer Pistole zum Wohnhaus des CDU-Politikers gefahren sein. E.s Anwalt stellte Anfang der Woche Strafanzeige wegen Geheimnisverrats gegen die Bundesanwaltschaft, weil solche Details aus dem widerrufenen Geständnis an die Öffentlichkeit geraten waren.

Es gibt auch einen weiteren Hinweis auf Verbindungen zum rechtsterro­ristischen Netzwerk NSU. So soll E. bis 2011 in der völkischen »Artgemeinschaft« gewesen sein, zu der offenbar auch Mitglieder und Unterstützer des NSU Kontakte pflegten. Und mindestens einer der beiden Männer, die im Verdacht stehen, die Tatwaffe für E. besorgt zu haben, soll sich Medienberichten zufolge im rechtsextremen Milieu bewegt haben – unter anderem beim ­Pegida-Ableger Kagida.