»Fake News« im Europawahlkampf

Wissen, was wahr ist

Auf Twitter, Facebook und Youtube werden gezielt Lügen zur Europawahl gestreut. Deren Zielgruppe sind keineswegs nur Rechte.
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»Brexit«, Trump, Gelbwesten – angesichts der immensen Erfolge russischer Propagandatrollereien in den vergangenen Jahren ist es nicht verwunderlich, dass der laufende Europawahlkampf ebenfalls Ziel von Manipulation ist. Informationen der New York Times zufolge haben diverse Analysten während des EU-Wahlkampfs die übliche Mischung aus über diverse Accounts verbreiteten fake news und speziell angelegten, sie bestätigenden Websites beobachtet. Ziel der Desinformation sei es, warnte Anfang dieser Woche die tschechische EU-Justizkommissarin Vera Jourová, »die Schicksalswahlen für Europa« zu verfälschen. Die Eingriffe stärken aber nicht nur die rechten Populisten, sondern stiften allgemein Chaos, Misstrauen und säen Hass – woran sich, meistens nichtsahnend, auch Linke beteiligen. In die Empörung über fake news mischt sich zuverlässig auch das wohlige Gefühl der eigenen moralischen und intellektuellen Überlegenheit. Auf Lügenpropaganda fallen nämlich, so die gängige Wahrnehmung, stets nur die Rechten rein. Denn man selbst ist natürlich keiner dieser etwas tumben, nicht besonders internetaffinen Menschen, die begierig alles aufgreifen, was ins ­eigene Weltbild und damit zu den eigenen Ängsten und Vorurteilen passt, ohne Quellen zu überprüfen oder auf offenkundige Bild­fälschungen zu achten. Natürlich nicht.

Dass beispielsweise auf dem Höhepunkt der »Black Lives Matter«-Bewegung von russischen Propaganda-Accounts auf Twitter eben nicht nur rassistische Botschaften verbreitet wurden, ist hinreichend bekannt. Bis heute wurde allerdings nicht aufgearbeitet, wie einfach sich auch Linke manipulieren lassen. Während der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt heizten später eindeutig als Russland-Trolle enttarnte Twitterer die Stimmung unter den Protestierenden und ihren Online-Unterstützern an: Sie verbreiteten erfolgreich fake news über angeblich von der Polizei erschossene Demonstranten, gefälschte Fotos sich angeblich sammelnder Nazis und Ku-Klux-Klan-Gruppen sowie erfundene Zitate republikanischer Politiker. Die falschen Informationen schufen Chaos und Misstrauen, denn selbst eigentlich den Protesten zugetane Republikaner und Polizisten wurden unterschiedslos beschimpft und bedroht.

In Europa hatte es zu diesem Zeitpunkt übrigens schon längst Anti-EU-Propaganda gegeben, die sich eben nicht an dumpfe Rechte wandte, sondern an Menschen, die sich selbst für aufgeklärt und kritisch denkend halten. Die Europäische Union plane ein Verkaufsverbot für Heilpflanzen, hieß es in einem 2010 klandestin in Internetforen verbreiteten Pamphlet, diese würden künftig auf Druck der Pharma-Lobby nicht mehr als Lebensmittel, sondern als Arznei eingestuft. Die fake news wurden auch im Taz-Blog »Drogerie« verbreitet. »Leider ist es wahr: Die Pharmalobby hat wieder zugeschlagen«, so beginnt der Artikel vom 4. November 2010, in dem dazu aufgerufen wurde, eine entsprechende Petition zu unterzeichnen. Die Urheber dieser Falschmeldung wurden nie ermittelt. Aber falls der spiritus rector der russischen Trollfabriken ein paar Jahre später ein Beispiel für die Wirkung gezielter Massenbeeinflussung gesucht hätte, wäre er unweigerlich auf die Mär vom Heilpflanzenverbot gestoßen. In Deutschland schlossen sich mehr als 120 000 Menschen der Petition an den Bundestag an, das europäische Pendant erreichte über eine Million Unterschriften – und es wären wohl noch mehr geworden, wenn die Zeichnungsmöglichkeit der Eingaben nicht zeitlich befristet gewesen wäre.