Die Linken und ihre Väterländer

Und jetzt das Volk

Fremdenhass und identitärer Wahn greifen in Europa um sich, die EU steht unter Beschuss wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Auch immer mehr Linke predigen die Rückkehr zu Volk und Nation.

Bürgerliche Medien deuten die Europawahl 2019 als Schicksalswahl. Das ist etwas übertrieben, weil die ethnonationale Selbstzerstörung sich nicht an Wahlen hält. In der Wahl äussert sich aber, ob die Stimmung für oder gegen Europa ist. Fällt Europa in alte nationale Rivalitäten zurück? Kommt der Humanismus weiter unter die Räder? Steigern Fremdenhass und identitärer Wahn sich bis zu ethnischen Säuberungen und wissen Menschen nachher wieder nicht, was sie getan haben? Wie bei dem Referendum für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Da ließ eine Mehrheit sich von der Aussicht auf die Vertreibung der Ausländer, das Ende der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU und die Rückkehr zum Empire mit Pomp und Gloria und Reichtum locken. Als dann durchsickerte, dass der erhoffte Gewinn ausbleiben wird, ließen viele ihre Wut an osteuropäischen Familien aus.

Die Demokratie wird nicht von der EU, sondern von nationalen Regierungen und faschistischen Bewegungen demontiert.

Europa hat die Herzen nie so erwärmt wie die Nation, aber einen solchen Aufschwung von rechten, antieuropäischen Stimmungen gab es seit 1945 nicht. Und das in einer Epoche, in der die EU von außen und innen erschüttert wird. Demokratien und weltwirtschaftliche Regeln erodieren, in Europa tobt der Konflikt zwischen kapitalistischer Moderne und regressivem Bewusstsein, das sich im reaktionären Sinn antikapitalistisch verhält, die USA bedrängen die EU mit Sanktionen, 17 EU-Staaten sind unter das Dach der chine­sischen Seidenstraße geschlüpft, mit dem Vereinigten Königreich verlässt der militärisch stärkste und wirtschaftlich zweitstärkste Staat die EU, Frankreich und Italien sind verfeindet, weil sie in Libyen verschiedene Warlords unterstützen. Italiens Innenminister Matteo Salvini gründet die »Europäische Allianz der Völker und Nationen« gegen die »deutsch-französische Dominanz« und fordert die »Gelben Westen« auf, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron »zu verjagen«. Macron bezeichnet im Gegenzug den Rechtspopulismus als »europäische Pest«.

Auf in den Kampf für die Nation
Demokraten, Humanisten und das inter­national operierende Kapital fürchten die nationale Regression, während Kommunisten die EU-Kommission fürchten. In einem »Appell für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2019« pran­gern 24 linke Parteien (unter anderem die Linkspartei und die DKP aus Deutschland, Kommunisten aus Dänemark, Österreich, Großbritannien und Portugal, Separatisten aus Katalonien und Galizien) die Verletzung der nationalen Souveränität durch die EU an und sehen wilde Mächte über die Nationen herfallen. Ein »Großmächtedirektorat« (die EU-Kommission) setze gewählte Regierungen »unter eklatante Drohungen und Erpressungen«, beseitige »Demokratie, Staat und Volkssouveränität« und hole Ausländer, um unsere (offenbar guten) »Arbeitsbeziehungen zu untergraben«.

Doch Rettung naht. Der Kommunist kämpft für ein Europa, das »die Souveränität seiner Staaten respektiert« und »von Völkern regiert« wird statt von »Direktoraten«. Einer dieser Direktoren ist Günther Oettinger (CDU), der wegen Erfolglosigkeit zur EU-Kommission strafversetzt wurde und die Nationen schon deshalb nicht erpressen kann, weil er von ihnen ernannt und abberufen wird.

Die linken Retter der Vaterländer dürfen in einer Sonderausgabe der Tageszeitung Junge Welt weiter gegen die EU hetzen. Die KP Dänemark sendet »ein großes Danke an die Briten«, zollt ihnen »Respekt« für den Ausstieg aus der EU und verspricht: »Der Kampf für nationale Selbstbestimmung wird weitergehen!« Dass Linke den alten Ruf aus der Dritte-Welt-Solidarität, der wegen seines völkischen Charakters damals schon falsch war, auf Großmächte mit Kolonialgeschichte übertragen und der rechten  UK Independence Party (Ukip) danken, erstaunt zunächst, wird aber verständlich, wenn man liest, dass die »Arbeit mit und in der Volksbewegung gegen die EU« ein »wichtiges Element der antimonopolistischen Strategie« sei. Volksbewegung ist Volk und zum Volk gehören alle Indogermanen, auch die von Ukip und AfD. Am Ende ruft die KP alle revolutionären Kräfte zum »nationalen Kampf gegen die EU« auf, sonst bekämen »Rechtspopulisten freie Hand«.

Carpe Diem. Die Partei von Griechenlands ehemaligen Kurzzeit-Finanzminister Yanis Varoufakis, Diem 25, will die EU demokratisieren.

Bild:
Reuters / Costas Baltas

Wie das? Wenn Kommunisten zu Nationalisten mutieren, haben Nationa­listen Zulauf, sonst nichts. Die aus der 1991 aufgelösten KP Großbritanniens hervorgegangene marxistisch-leninistsiche KP Britanniens beklagt, dass die EU die Einhaltung von Verträgen »gegen demokratisch gewählte nationale Regierungen durchsetzt«. Müssen gewählte Regierungen keine Verträge mehr einhalten?

Der Appell der 24 wurde in dem Wissen verfasst, dass nationale Regierungen in Ungarn, Polen, Italien, Österreich und anderswo zu ethnischen Säuberungen neigen und auch sonst derart grauenvoll sind, dass die EU gegen Polens Regierung ermittelt, weil sie Richter, die ihr nicht passen, absetzt, und gegen Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán wegen der »systematischen Bedrohung der Demokratie«. In Italien sprechen Frauen von der gerichtlich legitimierten Rückkehr zum Ehrenmord, in Rumänien lehnt das Parlament ein Gesetz gegen die Korruption ab, in vielen Ländern geht es Journalisten an den Kragen. Kurz: Die Demokratie wird nicht von der EU, sondern von nationalen Regierungen und faschistischen Bewegungen demontiert. Wer die Souveränität der Nation gegen die EU verteidigt, statt sie auflösen zu wollen, handelt reaktionär und dumm, weil der Ausstieg aus der EU nicht mehr, sondern weniger Souveränität bringt. Im Eiertanz der Unterhausabgeordneten drückt sich die Ahnung aus, dass Großbritannien den Einfluss auf die Weltpolitik von 27 EU-Staaten verlieren wird und eine große Zahl von Handelsabkommen neu anbahnen muss, ohne 500 Millionen Kon­sumenten und das gesamte Kapital der EU in die Waagschale werfen zu können.

Die Abschaffung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht links, sondern die Wende zu völkischen Betriebsgemeinschaften hinter verriegelten Grenzen.

Corbyn, Varoufakis, Mélenchon, Gelbe Westen
Der Vorsitzende der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, habe das britische Bürgertum »in panische Angst« versetzt, meldet die Junge Welt, weil er sich »auf die stärkste linke Bewegung in Europa« und auf »eine Sozialdemokratie, die wieder ihren Namen verdient«, stützen könne. Kevin Kühnert löst in Deutschland vielleicht Panik aus, aber für Corbyn legt Theresa May die Hand ins Feuer: »Wir wollen beide die EU-Personenfreizügigkeit beenden.« Die Abschaffung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht links, sondern die Wende zu völkischen Betriebsgemeinschaften hinter verriegelten Grenzen. Acht Unterhausabgeordnete haben Labour verlassen, weil sie eine »institutionell rassistische und antisemitische Partei« geworden sei. Labour hat unter anderem entschieden, dass der Vergleich der israelischen Politik mit den Nazis und die Behauptung, die Existenz Israels sei »ein rassistisches Unterfangen«, berechtigt seien. Das Jewish Labour Movement, das seit 99 Jahren Teil der Labour Party ist, diskutiert seinen Austritt, die Kommission für Gleichheit und Menschenrechte (EHRC) erklärt: »Nach mehreren Beschwerden glauben wir, dass Labour Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihres religiösen Glaubens rechtswidrig diskriminiert haben könnte.« Das wäre konsequent für eine Partei, die Arbeitsplätze nach völkischen Kriteri­en vergeben will und den Antisemitismus fördert.

Die linke griechische Partei Syriza und ihr spanisches Pendant Podemos haben sich wie alle Parteien, die den Kapitalismus regierend verwalten, durch Integration verbraucht. Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis kandidiert in Deutschland auf der Liste »Demokratie in Europa – DiEM25«. Das Programm ist keynesianisch, proeuropäisch und – weil es populär ist – gegen EU-Institutionen. Er will »zunächst einmal jedes Jahr 500 Milliarden Euro für eine grüne Energieunion ausgeben«. Nichts leichter als das. Auf seiner Liste kandidiert Bianca Praetorius (»Ich bin Start­up Pitch Coach«), die erkannt hat: »Technology is leap-frogging us.« Man sieht: Die Gruppe ist flippiger als die FDP. Der französische Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon hat sein »Unbeugsames Frankreich«, das die Blaupause für das Projekt »Aufstehen« war, mit Parteien aus anderen europäischen Ländern wie Podemos zu einem Bündnis namens »Jetzt das Volk« zusammengeschlossen. Nomen est omen. Er will alle EU-Flaggen abhängen und verlangt, dass bei seinen Kundgebungen nicht die Internatio­nale, sondern die Marseillaise gesungen wird, in der Frankreich sich durch Blut und Schlamm zum Sieg robbt. Ihn »fasziniert« der Gelbwestler Éric Drou­et, der zum Generalstreik und Staatsstreich aufrief und sich, als beides nicht befolgt wurde, aus der Politik zurückzog.

Sahra Wagenknecht, die Fraktions­vorsitzende der Linkspartei im Bundestag, posierte vor ihrer Burn-out-Tour ­­in gelber Weste vor dem Kanzleramt, während Gelbwestler Christoph Chalençon eine Militärdiktatur forderte, Mar­ine Le Pen den Gelben Westen »unverbrüchliche Unterstützung« zusicherte, Stephen Bannon sie als »Inspirationsquelle für die ganze Welt« anpries und ein Ehepaar in gelben Westen bekundete, es habe Le Pen gewählt, »weil Macron eine Marionette des jüdischen Bankhauses Rothschild« sei. Die Linkspartei kritisierte das nicht, sondern ermunterte ihre als LKW-Fahrerin verkleidete Ikone: »Die Proteste der Gelbwesten« seien der Beginn des Kampfes für ein besseres Leben. Das ist zu viel Lob für die Querfront der Straße, in der Anarchisten, Faschisten, Baggerfahrer und der ADAC für Steuersenkungen käm­pfen. Die Gelbwesten stellen keine ­Liste auf und geben keine Wahlemp­fehlung ab, weil die Rechten die Chancen von Le Pen nicht schmälern wollten und die Zentristen »den Zusammenhalt von links bis rechts« gefährdet sahen.

Egal ob Neoliberale oder Keynesianer regieren: Menschen sind für sie nur Hamster im Laufrad. Ihre Theoretiker streiten, welche Technik die Laufräder besser in Schwung hält.

Die Linkspartei
Die Linkspartei ist eine Gefangene ihrer Kompromisse. Sie schmiedet Kompromisse mit dem Kapitalismus, dem ethnonationalen Wagenknecht-Flügel, dem Keynesianismus, dem Putin-Flügel, mit Europäern und Antieuropäern, Cottbussern und Chemnitzern und will dabei links bleiben. Das Ergebnis ist ein Europa, in dem »alle gut arbeiten und in Frieden leben können«. Nichts Hochtrabendes. Hoffentlich lassen die Neoliberalen sie. Die Kompromisse sind durchweg unvereinbar mit einer linken Kritik. Der Kapitalismus zum Beispiel kann nicht anders, als Menschen in seinen Betriebsdiktaturen auszubeuten, Kapital in profitable Zonen zu schaufeln und unprofitable zu entleeren, die Welt in Sieger und Verlierer, Gläu­biger und Schuldner, Hegemonie und Peripherie, arm und reich zu teilen – unabhängig davon, ob Neoliberale oder Keynesianer in der Regierung sitzen. Für beide sind Menschen ohnehin nur so etwas wie Hamster im Laufrad, wenn es um die Steigerung der Profitrate geht. Ihre Theoretiker streiten, welche Technik die Laufräder besser in Schwung hält.

Um ihr linkes Image zu behalten, ohne die Nation und den »guten schaffenden« Kapitalismus angreifen zu müssen, erfindet die Linkspartei jede Menge Sündenböcke, auf die sie scheinbar antikapitalistisch einschlagen kann. Merkel und Macron, Brüssel, EU-Kommission, Neoliberalismus, Globa­lismus, antisemitisch konnotierte Banken und Finanzmärkte. Die Partei will »die öffentlichen Haushalte von der Diktatur der Finanzmärkte befreien«, nicht von der Diktatur der Großkonzerne, an die sie die harmlose Bitte rich­tet, sich nicht »vor der Finanzierung des Gemeinwohls zu drücken«. Die EU-Kommission soll entmachtet werden, weil sie gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds »Millionen ins Elend gestürzt« habe. Nicht aber der Kapitalis­mus oder das hegemoniale Deutschland! Deshalb sollen »grundlegende Ent­scheidungen« von »nationalen Parlamenten« und durch Volksabstimmungen getroffen werden. Es gibt keinen Grund, nationalen Parlamenten und dem manipulierten Bewusstsein der Briten, die für ihren eigenen sozialen Abstieg votierten, mehr zu trauen als der EU-Kommission.

Auf dem Europaparteitag am 22. und 23. Februar in Bonn emanzipierten die Anwesenden sich etwas von Wagenknecht. Gregor Gysi mahnte: Die »Schwäche der Linken« bestehe darin, »keine gemeinsame Auffassung im Umgang mit rechten Populisten zu haben«. Ein Teil der Partei wolle »das Nationale hochholen«. Das sei, so Gysi, nicht gut. Katja Kipping wollte lieber die EU als ein »Nebeneinander von Nationalstaaten«. Die Mehrheit stimmte für ein geeintes Europa »mit offenen Grenzen nach innen und außen« und für die Abschaffung des Dublin-Systems, damit Flüchtlinge wählen können, wo sie leben wollen. Der Realoflügel bekam für die »Republik Europa« 214 Stimmen (256 dagegen).

Die Bundestagsfraktion korrigierte die Geschichte wieder. Wagenknecht durfte in der Europa-Debatte im Bundestag am 21. März die Hauptrede halten, obwohl sie für die »ethnisch homogene« Nation und gegen die Arbeitnehmer­freizügigkeit und Migration (»Lohndrückerei«) ficht und wie die AfD meint, dass arme Deutsche »natürlich dieje­nigen sind, die die Rechnung der Mer­kel’schen Flüchtlingspolitik« zu zahlen hätten. Rassisten ist die Erkenntnis versperrt, dass Migranten, wenn sie dürfen, Werte und Arbeitsplätze schaffen, wie 13 Millionen Ostflüchtlinge einst zum »Wirtschaftswunder« beitrugen. Wagenknecht legitimierte in ihrer Rede Nationalismus und Fremdenhass als soziale Notwehr – wie Philosophen, die in der FAZ vom Reflex der »Deklassierten« gegen den »liberalen Kosmopolitismus« faseln. »Nicht die Salvinis, Orbáns und Brexiteers« seien verantwortlich, sagte Wagenknecht, sondern Regierungen, die sich »nicht mehr« als »Schutzmacht ihrer Wähler verstehen«. Sie definiert die Regierung also als völkische Schutzmacht. Kein Wunder, dass für sie »viele AfD-Wähler keine Rechten« sind, sondern Menschen, »die Zukunftsängste haben, die wütend sind, dass ihre Bedürfnisse von der Politik ignoriert werden«. Wütete Hitlers SA deshalb so, weil die Politik ihr Bedürf­nis, Juden zu töten, ignoriert hatte?

Gegen die ethnonationale Welle
Seit Jahrzehnten unterstellt das Gejammer der Linken über den Neoliberalismus einen guten Kapitalismus, der nur falsch regiert werde, und fördert ihr Gejammer über eine Globalisierung, die Nation und Sozialstaat auflöse, die Hinwendung zur Nation und zum Heimatbund. Tatsächlich lösen Handel und Wandel die Nationen nicht auf, sondern begünstigen die Entwicklung von reichen und armen, mächtigen und ohnmächtigen Staaten. China und Somalia sind nicht gleichermaßen Opfer einer Globalisierung. Hinzu kommt, dass traditionsgebundene Linke immer ein Vaterland brauchen. UdSSR, DDR, Kuba, Russland, Syrien, Venezuela – irgendwer findet sich. Autonome geben sich mit Regionen wie dem Baskenland oder Katalonien zufrienden, wo der Volkswagen-Konzern das Sagen hat, seit dieser 1986 den spanischen Autohersteller Seat übernahm. Nationalismus übt sich mit Katalonien unbefangener.

Eines ist neu. Früher sollte das Vaterland noch an Sozialismus erinnern, heute ist jede Nation recht – ein Zugeständnis an den rechten Zeitgeist.

Linke sollten sich unmissverständlich gegen die ethnonationale Welle stemmen, statt die Nation zu verteidigen wie die Schweizer Garde den Va­tikan. Sie sollten Rosa Luxemburg nicht nur mit Kränzen ehren, sondern ihre Vision aufgreifen. Luxemburg kämpfte für die Rätedemokratie, die überhaupt erst Demokratie wäre, weil sie Betriebsdiktaturen in Demokratien verwandeln und so den Grundstein für eine solidarische Gesellschaft legen würde. In einer solchen müsste niemand mehr um seine Existenz bangen. Die Menschen könnten die Zwänge zur Kompensation, die sich prekäre Ventile sucht, abbauen. Für Arbeitsverhältnisse ohne Hierarchien zu werben, in ­denen In- und Ausländer Demokratie und Solidarität üben und frei über ihre Zeit verfügen dürften, müsste doch Freude machen.

Manchmal deuten Widersprüche an, dass die Integration noch nicht ganz vollzogen ist. Katja Kipping bietet die falsche Diagnose: »Corbyns Erfolg ist Signal gegen Rechtsruck in Europa.« Sie macht sich aber im Gegensatz zu Corbyn für offene Grenzen stark und spricht vom Heraustreten aus dem Mahlwerk des unmittelbar Nützlichen. Es gehe darum, »jedem Menschen ­Autonomie über sein Leben und seine Lebenszeit zu ermöglichen«, daher auch um die demokratische Verfügung über Produktionsmittel und die »ra­dikale kollektive Arbeitszeitverkürzung«. Auch Marx wollte »die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren« und so Zeit für die Entwicklung jedes einzelnen gewinnen. Und Adorno schrieb, die »wahre Gesellschaft« werde vielleicht »der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, ­anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne zu stürmen«.
Zuletzt eine Wahlempfehlung: Polen sollten den »Frühling« des schwulen Atheisten Robert Biedroń wählen, der den linksliberalen Kulturkampf gegen das erzkonservative Polen wagt.