Digitale Empörung

Nicht lustig

Die Komikerin Enissa Amani hat einen Shitstorm gegen die Journalistin Anja Rützel entfacht. Die Affäre zeigt, wie sich der Rassismusvorwurf instrumentalisieren lässt, um Kritik abzuwehren.

Über die Ostertage tobte ein Shitstorm, initiiert von der Komikerin Enissa Amani. Anlass war ein Text von der Journalistin Anja Rützel bei Spie­gel Online, der sich der Verleihung des »About You«-Awards auf Pro 7 widmete. Mit diesem Preis werden Influencer ausgezeichnet, deren Geschäft es ist, sich mit Konsumgütern in sozialen Medien in Szene zu setzen. Rützel, vor allem für ihre satirisch-lie­bevolle Kommentierung von Unterhaltungsformaten wie dem Dschungelcamp bekannt, ließ an der Verleihung kein gutes Haar.

Durch die Automatismen der digitalen Empörungsökonomie verkommt Engagement im virtuellen Raum zur Karikatur seiner selbst.

Auch der ­Auftritt Amanis wurde entsprechend kommentiert, die laut Rützel »einen sehr langen, extrem sonderbaren Vor­trag darüber« hielt, »dass sie sich als Stand-upperin diskriminiert fühlt, wenn man sie ›Komikerin‹ nennt«. Amani kündigte sogar an nach Nicaragua auszuwandern, um sich dort der Papayazucht zu widmen, falls sie noch einmal in den Medien die Bezeichnung »Komikerin« über sich lesen müsse. Rützel befand in ihrem Text mit einem Augenzwinkern, dass »man sie auf keinen Fall mehr ›Komikerin‹ nennen sollte, denn spätestens nach dieser Rede kann einfach keiner wollen, dass wir diese Komike­rin an die Fruchtproduktionsbranche verlieren. (Nur noch mal zur Sicherheit: Komikerin.)«

Diese neckische Kritik erzürnte die für eine Komikerin erstaunlich humorbefreite Enissa Amani so sehr, dass sie sich darüber in mehreren Bei­trägen auf Instagram ausließ, wo sie unter anderem den Spiegel als »Schrott­-Klatschblatt« bezeichnete. Amani, die auf Instagram über 500 000 Follower hat, beließ es jedoch nicht bei diesen trotzigen Schimpf­­tiraden, sondern animierte ihre Fans auch zum Shitstorm gegen Anja Rützel. Danach fluteten viele von ihnen Rützels Instagram-Profil mit Beleidigungen. Die digitale Kloake brodelte erst so richtig, als sich der AfD-Politiker Andreas Winhart einmischte, mit dem Amani seit Wochen im Streit liegt. Winhart teilte Rützels Artikel und forderte Amani auf, das Land zu verlassen. Danach wurde Rützel von Amanis Fans als Rassistin (»AfD-Nutte«) gebrandmarkt, obwohl Rützel selbst nicht im Sinn hatte, Amani aufzufordern, Deutschland zu verlassen. Rützel machte dann die Causa auf Twitter publik.

Derweil sprangen auch User aus der queerfeministischen und intersekti­onalen Twitterblase Amani bei und verkünden munter, warum es rassistisch sei, eine »WoC« zu kritisieren. Amani teilt beispielsweise Tweets der Userin Elif: »Können wir bei dieser Anja-Rützel-Enissa-Amani-Sache mal ein paar Dinge nicht außer Acht lassen, bitte? Enissa Amani ist eine Künstlerin, die in der deutschen Presse ständig kleingehalten wird, weil sie a) nicht als Deutsch gezählt wird (›die xy iranischer Herkunft‹ etc.) und b) als sehr feminin auftretende Frau auch als solche diskreditiert wird. Nun kann man den ›About You‹-Award selbstverständlich kritisieren, aber dass sich auch Rützels Artikel paternalistisch, misogyn und klassistisch liest, ist egal?« Der Journalist Malcolm Ohanwe äußerte auf Twitter gar pathetisch, dass das Influencer-Business oft der einzige Einstieg für Schwarze in den Medienbetrieb sei und Kritik an solchen Veranstaltungen und Persönlichkeiten daher klas­sistisch und überheblich.

Ganz im Sinne des Intersektionalitätsfeminismus wird Enissa Amani hier zum Underdog stilisiert, den es gegen die diskriminierende weiße deutsche Gesellschaft zu verteidigen gelte. Bei näherer Betrachtung wirkt dies allerdings ein wenig skurril, denn Amani stammt aus einem akademisch gebildeten Elternhaus und hat Jura und Literaturwissenschaften studiert. Zudem hat sie es zu einer eigenen Sendung auf Netflix gebracht und in den sozialen Medien eine enor­me Reichweite. Davon abgesehen war ihr Migrationshintergrund kein Thema in Rützels Artikel. Amani wurde, wie alle anderen von Rützel Kritisierten, an dem gemessen, was sie vor lau­fender Kamera in der Sendung sagte. Anscheinend war genau das Rützels Fehler: Amani monierte später, dass in dem Artikel nicht einmal positiv er­wähnt wurde, dass mehrheitlich Frauen mit Migrationshintergrund ausgezeichnet wurden. Dass diese Tatsache aber nichts über die Qualität der Sen­dung aussagt, deren Bewertung Rützels Arbeit ist, scheint Amani nicht zu verstehen.

Dass die Bewertung einer Leistung als Abwertung der Person interpretiert wird, ist durchgängiges Prinzip des Intersektionalitätsfeminismus.

Derlei konstruierte Vorwürfe zirkulieren in sozialen Medien, etwa bei Twitter, regelmäßig. Sebastian Eder verglich in der FAZ Anja Rützel mit dem Cartoonisten Ralph Ruthe, der für sein Engagement gegen rechts bekannt ist. Ruthe erregte nun selbst den Zorn der queerfeministisch-intersektionalen Twitter-Blase, weil er die Causa Amani in einem Tweet aufgriff. Er nannte Amani ebenfalls »Komikerin« und verlinkte eine Website mit Billigflügen nach Nicaragua. Wie Ruthe selbst kurze Zeit später schrieb, wurde ihm 47 Sekunden nach Veröffentlichung bewusst, dass dieser Tweet sehr zum Missverstehen einlädt, weshalb er ihn wieder löschte. Allerdings reichten bereits diese 47 Sekun­den aus, denn ein Twitternutzer fertigte einen Screenshot an und prangerte Ruthe wegen Rassismus an. Durch die Automatismen der digitalen Empörungsökonomie verkommt Engagement im virtuellen Raum zur Karikatur seiner selbst, ein schnell gemachter, nicht bedachter Beitrag, wie Ruthe ihn abgesetzt hatte, kann ihm auch noch negativ ausgelegt werden, wenn er ihn sofort wieder löscht. Auch Ruthe bewertete Amani selbst­redend nicht nach der Herkunft ihrer Familie, sondern am Maßstab ihres ­Be­rufes, und schrieb: »Hier geht es nicht darum, woher Frau Amani kommt. Hier geht es darum, dass sie den Beruf verfehlt hat.«

Dass die Bewertung einer Leistung als Abwertung der Person interpretiert wird, ist durchgängiges Prinzip des Intersektionalitätsfeminismus, der sich auf Instagram und Co. mit der inhärenten negativen Dynamik dieser Dienste verselbständigt. Stets bleiben nach solchen digitalen Ereignissen Beobachter, wie Stefan Winterbau­er im Online-Magazin Meedia, ratlos zurück und fragen, wie man die Eska­lationsmacht der »digitalen Mistgabelträger« brechen kann. Der Internet­pionier und Autor Jaron Lanier sieht die Wurzel des Problems in der Architektur der sozialen Medien selbst. In seinem 2018 veröffentlichtem Essay »Zehn Gründe, warum du deine Social-Media-Accounts sofort löschen musst« beschreibt er unter anderem, wie soziale Medien bereits durch ihre Struktur falsche Anreize setzen und konfrontatives Verhalten fördern. Die Messlatten im digitalen Schwanzvergleich sind vor allem die Anzahl der Follower und die Likes, die eigene Beiträge erhalten. Alle Nutzer werden letztlich darauf konditioniert, nach mehr von beidem zu verlangen. Besondere Aufmerksamkeit erhält man aber gerade mit konflikthaften Beiträgen, die Lanier zufolge von Algorithmen auch besonders gepusht werden.

Dass Amani als Influencerin aus beruflichen Gründen auf eine große Reichweite angewiesen ist, kann in der Debatte nicht ausgelassen werden. Von dieser Warte aus betrachtet wundert es nämlich nicht, dass Amani den Shitstorm zunächst weiter befeuerte und sich resistent gegenüber Beschwichtigungsversuchen zeigte. Ebenso wird klar, warum der missglückte Tweet von Ralph Ruthe zu gutes Material war, um es im digitalen Nirwana verschwinden zu lassen. Dieser Konfrontationsmechanismus setzt der Schaffung einer wirksamen politischen Öffentlichkeit in sozialen Medien enge Grenzen und banalisiert gleichzeitig die dort zur Schau gestellten politischen Positionen, die allenfalls noch als Clickbait dienen.

Der Intersektionalitätsfeminismus passt ideal in die Ära der sozialen Medien. Sein Prinzip der Betroffenheit bietet über die großen Begriffe wie Rassismus genügend publikumswirksamen Konfliktstoff und leicht gelingt es einigen Usern, darüber ihren Markenkern zu definieren. Der neoliberale Zwang zur Selbstoptimierung treibt im Spätkapitalismus immer seltsamere Blüten. Die einzige Möglichkeit, diesem Wahnsinn wenigstens auf dem eigenen Bildschirm zu entgehen, wäre das Löschen des eigenen Accounts.