Sudan nach dem Sturz von Omar al-Bashir

Die Generäle streiten

Sudans Gewaltherrscher Omar al-Bashir steht unter Hausarrest, Militärs haben die Macht übernommen. Steht das Land vor der Demokratisierung oder folgt einer Diktatur die nächste?

Vier Monate lang wurden die Proteste im Sudan immer größer, ohne dass das Regime zu Konzessionen bereit schien. Eine syrische Katastrophe schien sich abzuzeichnen. Zwar blieben die sudanesischen Demonstrantinnen und Demonstranten friedlich. Doch das hatten die syrischen Protestierenden anfangs auch getan – und zumindest ein halbes Jahr lang konsequent durchgehalten. Das sudanesische Regime reagierte wie das syrische im Jahr 2011 mit Brutalität. Ordnungskräfte schossen mit scharfer Munition, Schlägertrupps verschleppten Oppositionelle in Folterzentren.

Viele einfache Soldaten haben sich mit den Demonstranten solidarisiert. Nun überbieten sich die höheren Ränge rhetorisch bei der Verdammung des alten Regimes. 

Am Donnerstag vergangener Woche änderte sich plötzlich alles. Eigentlich war für diesen Tag ein Marsch der Millionen zur Unterstützung der Herrschaft des seit 1989 amtierenden Präsidenten Omar al-Bashir geplant. Doch stattdessen spielten Radio und Fernsehen alte Revolutionshymnen, dann erschien der Vizepräsident und Verteidigungsminister Ahmed Awad Ibn Auf umgeben von sudanesischen Nationalflaggen auf dem Bildschirm und erklärte das Ende der 30 Jahre währenden Herrschaft Bashirs. Der 75jährige Diktator war unter Hausarrest gestellt worden. Zunächst übernahm Verteidigungsminister Auf als Oberhaupt eines Militärischen Übergangsrats selbst die Regierungsgeschäfte und kündigte einen zweijährigen Übergangsprozess an. Den im Februar von Bashir verhängten Ausnahmezustand hob er nicht auf.

Die Menschen versammelten sich jubelnd auf den Straßen. Doch die Proteste ebbten nicht ab, die Opposition wollte nicht hinnehmen, dass ein Diktator den anderen ablöste. Tags darauf übernahm der bisherige Generalinspektor der Streitkräfte, Abdel Fattah Burhan, die Präsidentschaft. Dieser war bereits zuvor für Gespräche mit der Opposition eingetreten. Als einzigem in Sudans militärischer Führungsriege wirft ihm der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag keine Kriegsverbrechen in Darfur vor.

Burhan versprach in einer Fernsehansprache die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten, die Verfolgung von Verantwortlichen der Repression und den Kampf gegen Korruption. Er wolle das Bashir-Regime »an der Wurzel ausrotten«. Die nächtliche Ausgangssperre hob er auf. Der Direktor des verhassten Inlandsgeheimdiensts NISS, Salah Gosh, trat zurück.

Aber die Vorgabe, dass der Übergangsrat, der zur Demokratie überleiten soll, nur aus Angehörigen der Armee bestehen solle, focht Burhan nicht an. Allein das Amt des Ministerpräsidenten soll mit einem zivilen Experten besetzt werden, der von allen Opposi­tionsparteien bestimmt werden müsse – eine Bedingung, die zumindest mittelfristig die Opposition spalten könnte.

Bisher allerdings ist sich die Protestbewegung einig. Weiterhin skandieren Tausende Menschen auf den Straßen »Freiheit« und »Revolution«. Sie fordern die Übergabe der Regierungsgeschäfte an eine zivile Übergangsregierung. »Dies ist ein recycleter Putsch, der nicht willkommen ist«, sagte Sara Abdelgalil, eine Sprecherin der Gewerkschafts­bewegung Sudanese Professional Association (SPA). Damit spielt sie auf die Geschichte von Staatsstreichen im Sudan an. Davon leitete einer im Jahr 1985 eine kurze Phase der Demokratie ein, doch nach den Putschen 1969 und 1989 folgten lange Militärdiktaturen.

Spaltungen gibt es hingegen auf Seiten der Armee. Viele aus den unteren und mittleren Rängen haben sich bereits in den Wochen zuvor mit den Demonstranten solidarisiert. Nun überbieten sich die höheren Ränge rhetorisch bei der Verdammung des alten Regimes. Der stellvertretende Vorsitzende des Militärischen Übergangsrats, Mohammed Hamdan »Hemedti« Dagalo, rief am Samstag zu einer möglichst kurzen Übergangszeit hin zu einer zivilen Regierung auf und erklärte, seine Miliz werde die Demonstranten vor »Massakern durch Milizen des alten Regimes« schützen. Hemedti war der Kommandant einer Janjaweed-Miliz, die für den Massenmord in Darfur mitverantwortlich gemacht wird – gegen ihn selbst gibt es einen internationalen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen. Seine Miliz ist nun Teil der »Rapid Support Force« (RSF), die den auch von der EU unterstützten Grenzschutz zur Abwehr von Flüchtlingen aus dem südlichen Afrika gewährleisten soll.

Für die Angehörigen der alten Militärführung ist die Lage heikel. Auf der halben Welt werden sie mit Haftbefehl gesucht, besonders gute Freunde haben sie auch unter anderen Diktaturen nicht. Denn Omar al-Ba­shirs Außenpolitik war wankelmütig. Traditionell wurde sein Regime von Saudi-Arabien und Katar gestützt, doch in jüngster Zeit wendete er sich Russland zu und besuchte sogar als erster Staatschef seit 2011 im vorigen Dezember Bashar al-Assad in Syrien. Die Saudis werden es nicht begrüßt haben, dass er ihren Feind hofiert. Trotzdem haben sie ihm nun Exil angeboten.

Allerdings ist es kaum wahrscheinlich, dass die Generäle ihn laufen lassen – schließlich müssen sie zuerst ihre eigenen Köpfe retten. Das Militär im Sudan ist zwar mächtig, aber weit weniger mächtig als etwa in Ägypten. Es ist nicht nur durch Russland und China gut ausgerüstet, sondern unterhält auch in Kooperation mit dem Iran einen der größten Waffenkonzerne Afrikas, der den gesamten Kontinent ­beliefert.

Da Regime und Militär so gut wie identisch sind, hat die Armee auch Zugriff auf die Erdölproduktion. Andere Wirtschaftszweige beherrscht sie aber nicht. Zudem hat Omar al-Bashir den Zwist zwischen unterschiedlichen Einheiten und eingegliederten Milizen befördert, um die eigene Macht zu sichern. Saudi-Arabien scheint trotzdem wie schon in Ägypten und Libyen auf Stabilität durch Militärherrschaft zu setzen: Als erstes Land hat Saudi-Arabien den Übergangsrat anerkannt und Kredite zugesagt.

Die sudanesische Opposition ist gewappnet und versucht die Fehler des sogenannten arabischen Frühlings zu vermeiden. »Entweder wir siegen oder wir werden wie Ägypten«, skandieren die Demonstranten in Khartoum. 2011 hatte es im Sudan nur wenige Proteste gegeben. Im selben Jahr spaltete sich der Süden vom Norden ab und die Regierung erhöhte Subventionen, um den Protest klein zu halten. Damals galt die Opposition als zerstritten, die Oppositionsparteien waren schlecht organisiert und erstarrt von jahrelanger Repression.

Aber schon ein Jahr später, als das Regime Sparmaßnahmen einleitete, flammten die Proteste wieder auf. Seitdem ist eine Protestbewegung jenseits der Parteien gewachsen, getragen von der Gewerkschafts- und Frauenbewegung. Auf vielen Demonstrationen in Khartoum sollen weit über die Hälfte der Protestierenden Frauen sein. Sie kämpfen bereits seit Jahren gegen die Sharia-Gesetze und islamische Kleidungsvorschriften. Nach Angaben der sudanesischen Frauenrechtsorganisation »Nein zu Frauenunterdrückung« wurden jedes Jahr bis zu 50 000 Frauen wegen »unsittlicher Kleidung« verhaftet und zu Peitschenhieben verurteilt.

Daher hat die sudanesische Protestbewegung einen großen Vorteil gegenüber den Bewegungen im »arabischen Frühling« 2011: Sie ist dezidiert antiislamistisch. Eine Infiltrierung der Proteste durch Muslimbrüder, Salafisten oder eine Partei vergleichbar der tunesischen al-Nahba, die es 2011 in allen arabischen Revolteländern gegeben hat, scheint im Sudan unmöglich.

Ganz ähnlich wie in Syrien überschneiden sich allerdings im Sudan etliche Interessen gegnerischer Mächte. China, Iran und Russland machen Waffengeschäfte, Russland und China fördern Erdöl: Für sie ist der Sudan eine entscheidende Basis in Afrika. Auf der anderen Seite stehen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die den Sudan als ihre traditionelle Einflusssphäre betrachten. Ägypten will seine Nutzung des Nilwassers nicht beeinträchtigt sehen. Das ist keine gute Ausgangslage für eine Revolution. Für die EU ist der Sudan ein Schlüsselland im Kampf gegen Migration aus Afrika. Eine falsche Entscheidung und vor allem das Wegschauen wie im »arabischen Frühling« könnte eine noch größere Fluchtbewegung als 2015 produzieren. Aber so viel Weitsicht seitens der EU scheint unwahrscheinlich. Daher kann man den Sudanesen und Sudanesinnen wohl nur sehr viel Glück wünschen.