Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«

Die Angst vor der Enteignung

Am Samstag startete in Berlin das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, das große Immobilienkonzerne vergesellschaften will. Der Streit um die Initiative hat nun auch die Parteien im Berliner Senat erreicht.

»Hanfanbau statt Wohnungsbau, Enteignung statt Investitionen. Das ist Politik gegen die Menschen.« Mit diesem Tweet hat sich die um ein konservatives Profil bemühte neue CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in eine Debatte eingemischt, die in Berlin seit Wochen läuft. Es geht um das von einem außerparlamentarischen Mieterbündnis vorbereitete Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Dessen Ziel ist es, private Wohnungsbaukonzerne mit mehr als 3 000 Wohnungen gegen Entschädigung zu enteignen.

Am Samstag hat die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren begonnen. Für diesen Tag riefen zudem in Berlin, München, Stuttgart, Köln und zahlreichen anderen Städten Mieter zu Demonstrationen und Protesten gegen Mietsteigerungen und die Wohnungsmisere auf. Während der Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz wollten die Organisatoren des Volksbegehrens einen großen Teil der notwendigen 20 000 Unterschriften sammeln, die in der ersten Phase notwendig sind.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich gegen Enteignungen ausgesprochen.

Dass sich der Demo in Berlin Zehntausende anschlossen, wundert kaum. Denn die Mieterhöhungen gehen ungebremst weiter und sorgen dafür, dass sich viele Menschen notgedrungen mit der Wohnungspolitik beschäftigen. »Miete alt 707 Euro, Miete neu 1 700 Euro« steht beispielsweise auf Transparenten an der Fassade des Eckhauses Rigaer Straße/Samariterstraße im Stadtteil Friedrichshain. Die Mieter – einige wohnen bereits fünf Jahrzehnte dort – organisierten Ende Februar einen Protestbrunch vor dem Haus. Am Wochenende wollen viele von ihnen zur Demonstration gehen – für die meisten ist es die erste ihres Lebens. »Ich wusste auch nicht, dass Enteignungen überhaupt möglich sind. Nachdem ich mich mit der Problematik befasst habe, scheinen mir die Ziele des Volksbegehrens aber vernünftig«, sagt eine Mieterin des Hauses im Gespräch mit der Jungle World.

Der Artikel 15 des Grundgesetzes, der Enteignungen erlaubt und auf den sich das Volksbegehren beruft, wurde zu einer Zeit beschlossen, in der beispielsweise die CDU in ihrem Ahlener Programm von 1947 noch die Sozialisierung von Großunternehmen forderte. Dem bau- und wohnpolitischen Sprecher der Berliner CDU, Christian Gräff, scheint das nicht bekannt zu sein. Er sieht in der Enteignungsforderung eine »rote Linie für Demokraten«.

Vermieterverbände führen seit Wochen eine Kampagne gegen das Volksbegehren. Auch die Mehrheit der Berliner Medien spricht sich mit unterschiedlichen Argumenten gegen die Forderung des Volksbegehrens aus. Eine Enteignung schaffe keine einzige neue Wohnung, und das Geld, das für die Entschädigung der Konzerne ausgegeben würde, sollte besser in den Neubau investiert werden, argumentiert der rechtspolitische Kommentator der Taz, Christian Rath. Solche Argumente kommen auch von der Berliner Mietergemeinschaft, die mit ihrem Konzept des »Neuen Kommunalen Wohnungsbaus« den Schwerpunkt auf den Bau von Wohnungen ohne Privatinvestoren legt (Jungle World 22/2016). Die Entschädigungssumme könnte tatsächlich noch ein entscheidendes Kriterium für das Volksbegehren sein. Während der Senat von einer Summe bis zu 40 Milliarden Euro spricht, haben Experten im Auftrag der Initiative für das Volksbegehren maximal 17 Milliarden Euro errechnet.

Der Streit um den Umgang mit dem Volksbegehren hat mittlerweile auch die Berliner Senatsparteien erreicht. »Die Linke« ruft zur Beteiligung an den Unterschriftensammlungen auf. Auch eine Mehrheit der Grünen unterstützt das Volksbegehren. Doch die SPD ist in der Frage zerstritten. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat sich wie führende SPD-Vorstandsmitglieder gegen Enteignungen ausgesprochen. Das blieb allerdings in seiner Partei nicht unwidersprochen. Die Pankower Jusos forderten sogar, juristische oder natürliche Personen, die mehr als 20 Wohnungen besitzen, zu enteignen, ausgenommen sein sollen nur Genossenschaften und Eigentümer, die Wohnungen für die Altersversorgung gekauft haben. Zwar haben viele Sozialdemokraten, die später zu Wirtschafts­liberalen wurden, als linke Jusos begonnen. Doch Sympathien für das Volks­begehren äußerte auch die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl.

Zu den größten Gegnern des Volksbegehrens gehört der ehemalige Mitbegründer der Alternativen Liste, Volker Härtig, der sich längst zu einem Vertreter des rechten Flügels der Berliner SPD entwickelt hat. Auf deren Landesparteitag am Wochenende wurde das Thema Enteignung erst einmal vertagt. Die SPD hofft offenbar, den Streit mit ihrer Forderung nach einer Deckelung der Mieten zu entschärfen. Den Plänen zufolge sollen Mieterhöhungen in Berlin begrenzt werden – allerdings nur auf Zeit. Doch auch diesen Vorschlag kritisieren die Kapitalverbände heftig. Mittlerweile haben mehrere Juristen eine solche Deckelung der Mieten für grundgesetzkonform erklärt, es gibt allerdings auch Rechtswissenschaftler mit der gegenteiligen Ansicht.

Ein Gutachterstreit ist auch über die Verfassungsmäßigkeit der Enteignung ausgebrochen. Der Allgemeine Studierendenausschuss der Freien Universität Berlin kritisiert in einer Pressemitteilung, dass der an der Hochschule lehrende Jurist Helge Sodan immer wieder mit wirtschaftsnahen Gutachten auffalle, und fordert verbindliche Standards für die Gutachtenvergabe.