Ist Bernie Sanders der richtige Kandidat gegen Donald Trump?

Run again, Bernie

Im Wahlkampf gegen Hillary Clinton war der bis dahin parteilose Senator Bernie Sanders 2016 als Kandidat der Demokraten knapp unterlegen. Jetzt will er es erneut versuchen. Eine gute Nachricht für die US-amerikanische Linke?

Er ist der Richtige

Er hat eine starke und aktive Basis, die nötige Glaubwürdigkeit und kann gegen Donald Trump bestehen: Bernie Sanders ist der beste Kandidat für die US-Demokraten und die Linke.

Bernie Sanders sagte gleich bei der Ankündigung seiner Kandidatur: »Dieses Mal werden wir gewinnen.« Sein Wahlkampfvideo soll zeigen: Seine linke Politik ist erfolgreich, etwa darin, Druck auf Amazon auszuüben, so dass der Konzern sich zur Zahlung von 15 Dollar gezwungen sieht; das entspricht dem höchsten Mindestlohn in den USA, dem des Staates New York. Im Grunde hat Bernie Sanders nie aufgehört, Präsidentschaftskandidat zu sein. Er ist Umfragen der vergangenen zwei Jahre zufolge der beliebteste Poli­tiker der USA. Mit seiner Organisation »Our Revolution« verfügt er über eine Infraktruktur von Freiwilligen in allen 50 US-Bundesstaaten.

Auch die Linke in Deutschland sollte sich auf die Kandidatur von Bernie Sanders freuen

US-Amerikaner und besonders Demokraten lieben unverbrauchte Politiker, aber sie wollen auch Authentizität. Und die bietet der Mann, der wie eine ­kaputte Schallplatte seit 40 Jahren seine talking points von den in den USA fehlenden sozialen Standards »jedes anderen industrialisierten Landes« in die Mikrophone und Köpfe hämmert und das auch schon tat, als er damit noch fast alleine dastand. Sanders’ Sprache ist einfach und klar. Diese Fähigkeit, mit einfach denkenden US-Amerikanern zu kommunizieren, brauchen die nicht grundlos bei vielen des Landes als elitär verschrienen Demokraten ­gegen den effektiven Kommunikator Donald Trump. Dessen Vokabular gleicht zwar dem eines Viertklässlers, doch er liefert eingängige Soundbites und wird wirklich von allen verstanden.

Auch die Linke in Deutschland sollte sich auf die Kandidatur von Bernie Sanders freuen – nicht nur weil er programmatisch weiter links steht als die anderen Kandidaten, sondern auch weil er die besten Chancen hat, Trump im November 2020 zu schlagen. Sanders ist in den gesamten USA bekannt, im Gegensatz zu anderen Kandidaten muss er sein Image nicht erst mühsam aufbauen. Als Unabhängiger mit einer gewissen Distanz zur Partei und dessen zentristischem Establishment kann er die Wähler im deindustrialisierten Rust Belt zurückgewinnen, die für den von Barack Obama versprochenen »Wandel«, 2016 aber für Trump stimmten.

Denn die einfachste Strategie, genug Wahlleute zu bekommen, besteht ­immer noch darin, Staaten wie Pennsylvania, Michigan und Wisconsin zu gewinnen. Schon bei den demokratischen Vorwahlen 2016 gewann Sanders die meisten Bundesstaaten des Rust Belt und den Mittleren Westen – er ist auch im heartland erfolgreicher, dort, wo es einmal den Prärie-Popu­lismus gab.

Vor allem aber gelingt Sanders das, was das zentristische Herumlavieren und das technokratische Drehen an einigen Stellschrauben nicht vermag: echte Begeisterung an der Basis auslösen. Theoretisch begünstigt die ­demographische Entwicklung die ­Demokraten, doch deren Basis wählt weniger zuverlässig als die der Repu­blikaner und muss mit populären Ideen mobilisiert werden. Das leisten Sanders’ Freiwilligennetzwerk und seine verschmitzte Art. Die »politische Revolution«, in die Sanders eine Million Menschen einbinden will, ist nicht nur eine rhetorische Figur, sondern ein praktisches transformatorisches Projekt.

Die Jagd nach der Zustimmung des flüchtigen unabhängigen Wählers der Mitte ist, außer bei wenigen Senatswahlen in swing states oder in einzelnen Kongressbezirken, landesweit ­keine gute Taktik, weil es nur wenige echte Unabhängige gibt. Die von der ­Politik enttäuschten Nichtwähler sind deutlich zahlreicher. So wie Sanders’ Unterstützer 2016 für die zentristische Kandidatin Clinton stimmten, werden 2020 die Zentristen die Zähne zusammen beißen und Sanders unterstützen, so er denn Kandidat wird.

Auch wenn Sanders für linke Kontinuität steht – er hat dazugelernt. Er umwirbt jetzt aktiver ältere schwarze Demokraten, die 2016 mit großer Mehrheit für Clinton stimmten, hat racial justice deutlich prominenter in ­seine Plattform aufgenommen. Auch mit den Sexismusvorwürfen gegen mehrere Mitarbeiter seiner Kampagne von 2016, die in kurzer Zeit von einer kleinen Gruppe zu einem Team von über 1 000 Menschen anwuchs, ist Sanders souverän umgegangen. Er hat schon in der Wiederwahlkampagne als Senator 2018 ein Awareness-Protokoll und Ansprechpartner etabliert.

Für Sanders spricht seine solide politische Haltung – und es wäre besser, US-Linke und Demokraten würden diese der Faszination für jüngere und »diversere« Gesichter vorziehen.

Moritz Wichmann

 

Auf Sanders gebaut

Bernie Sanders ist der Hoffnungsträger vieler US-Linker. Seine sozialen Forderungen gelten als fortschrittlich und modern. Zum Thema Israel äußert er sich widersprüchlich.

Seit der Bekanntgabe der erneuten Kandidatur des Senators für Vermont, Bernie Sanders, für die Präsidentschaftswahl entbrennt innerhalb der US-­Linken wieder die Debatte darüber, was denn nun von dessen Sozialismus zu halten sei. Die Vergesellschaftung der Produktionsmitttel erwartet zwar kaum jemand, dennoch: Während viele radikale Linke in Sanders nur den Arzt am Krankenbett der Demokratischen Partei sehen, lobt zum Beispiel die Communist Party of the United States of America sein lebenslanges Engagement für die Arbeiterklasse. Besonderen Rückhalt hat er bei den Democratic ­Socialists of America (DSA), der gegenwärtig mitgliederstärksten sozialistischen Organisation in den USA, und ihrem inoffiziellen Organ, dem Magazin Jacobin.

Bei der kommenden Wahl könnte es um mehr gehen als um die weitere Verwaltung des seit 2008 untoten Neoliberalismus. Amber A’Lee Frost, Pub­lizistin und DSA-Mitglied, betont vor allem die Rolle, die Sanders’ Plan für eine allgemeine staatliche Krankenversicherung spielen könnte. Angesichts der enormen Zwänge, denen durchschnittliche US-Amerikaner sich unterwerfen, um in den Genuss einer Gesundheitsfürsorge zu kommen, sieht sie in »Medicare for all« ein Instrument, das es erlaube, Sozialismus und Freiheit zu vereinen.

Einerseits hat Sanders sich stets zu Israels Existenzrecht bekannt, Terror­angriffe verurteilt und die BDS-Bewegung abgelehnt, in den sechziger ­Jahren war er als Freiwilliger in einem Kibbuz. Andererseits hat er unlängst die frisch vereidigte demokratische Kongressabgeordnete und BDS-Unterstüt­zerin Ilhan Omar gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigt, anders als zum Beispiel Nancy Pelosi.

Die Abwehrreflexe und rhetorischen Strategien der Konkurrenten von Sanders bei den Demokraten sind jedoch auch noch dieselben. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei identitätspolitische Manöver der Sorte, die ver­suchen, dem »weißen alten Mann« Sanders und seinen Anhängern ein linkes Chauvi-Image anzuhängen, da ihnen class wichtiger sei als race und gender – eine Argumentation, die freilich der Empirie nicht standhält: Einer Umfrage von CNN im Bundesstaat Iowa zufolge etwa ist Sanders dort der Favorit der nichtweißen Wählerinnen und Wähler, die sprichwörtlichen »Bernie Bros.« der DSA haben eine Frau an der Spitze. In Bezug auf identitätspolitische Signale hält Sanders sich dankenswerterweise zurück – man denke an die eher peinlichen bis befremdlichen Versuche der Senatorinnen Kamala Harris und Elizabeth Warren, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit zu fingieren. Sanders nimmt selten Bezug auf seine jüdische Herkunft, dann aber eindeutig. Wie durch eine Veröffentlichung von Wikileaks bekannt wurde, versuchten Stra­tegen des Democratic National Committee 2016, Sanders ein religiöses Bekenntnis abzuringen, um seine Position zu schwächen.

Mag sich Sanders hier entziehen können, so hält das Drehbuch des Links­populismus Zwänge bereit, denen auch er schwer ausweichen kann. Bei US-Linken wie den DSA ist die Unterstützung der antiisraelischen Bewegung Boykott-Divestment-Sanctions-Bewegung (BDS) längst zu einem zent­ralen identitätsstiftenden Markenzeichen einer Haltung gegen das Establishment avanciert. Sanders bleibt in der Israel-Frage weit hinter den Erwartungen seiner weit links stehenden Anhängerinnen und Anhängern zurück. Er äußert sich selten zum Palästinakonflikt, seine Position ist ambivalent. Trotz gelegentlicher scharfer Kritik an Israels derzeitiger Regierung ist er im Gegensatz zu seinem britischen Pendant Jeremy Corbyn kein antiisraelischer Stimmungsmacher.

Einerseits hat Sanders sich stets zu Israels Existenzrecht bekannt, Terror­angriffe verurteilt und die BDS-Bewegung abgelehnt, in den sechziger ­Jahren war er als Freiwilliger in einem Kibbuz. Andererseits hat er unlängst die frisch vereidigte demokratische Kongressabgeordnete und BDS-Unterstüt­zerin Ilhan Omar gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigt, anders als zum Beispiel Nancy Pelosi, eine Repräsentantin des demokratischen Establishments. Insofern ist auch Sanders’ im Vergleich zu den DSA oder dem Magazin Jacobin deutlich empathischere Position zu Israel problematisch. Gegenwärtig trägt sie zu einer Schwächung der Parteinahme für Israel innerhalb der Demokra­tischen Partei bei. Hier wird sich der Senator aus Vermont wohl bald entscheiden müssen, welche Rolle er spielen will.

Bernhard Pirkl