Was kümmert mich der Dax - Bundesverkehrsminister Scheuer (CSU) nimmt den Kampf gegen die Wissenschaft auf

Krieg dem Verstand

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Wenn ein CSU-Minister sagt, er befürchte Proteste im Stil der »Gelben Westen« in Frankreich, erwartet man, dass die Forderung nach einem präventiven Eingreifen, härteren Strafen für Randalierer und neuen Waffen für die Polizei folgt. Doch bei den Gelbwesten findet jeder, was er sucht, ob es nun das Nahen der sozialistischen Revolution oder die bevorstehende Entscheidungsschlacht gegen die globale Hochfinanz ist. Verkehrsminister Andreas Scheuer hält mehr als 1 000 verletzte Polizisten nicht für erwähnenswert, denn er sieht besorgte Bürger, denen man entgegenkommen müsse: »Im politischen ­Berlin ergötzen sich alle an Diskussionen, die oft nichts mit der Lebenswirklichkeit der Menschen außerhalb der Hauptstadt zu tun haben. Die Bürger sind darüber echt verärgert – und stehen auf.«

Es versteht sich, dass Scheuer nicht vom linken Flügel der Gelbwesten erhobene Forderungen wie die nach einer Mindestrente von 1 200 Euro meint. Es geht ums Auto – Scheuer will, dass dessen Lenker »nicht mit Fahrverboten, Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Steuererhöhungen« traktiert werden. Ein Tempolimit auf der Autobahn, das von der Bundesregierung beauftragte Experten vorgeschlagen hatten, sei »gegen jeden Menschenverstand«. Wohlgemerkt nicht allein gegen den von Ignoranten gern angeführten »gesunden Menschenverstand«, mit dem immer der eigene gemeint ist, der etwa die verschrobene Ansicht volksferner Astronomen zurückweist, die Erde drehe sich um die Sonne, weil man nur aus dem Fenster schauen muss, um zu sehen, dass sich in der Lebenswirklichkeit die Sonne um die Erde bewegt. Nein, Scheuer verwaltet den Verstand an sich. Deshalb ist es auch irrelevant, dass die 100 Lungenärzte, die sich über zu hohe Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid beklagten, nicht rechnen können. Für das Verkehrsministerium ist das ein »Impuls zur Debatte«. Schülerinnen und Schüler könnten dies zum Anlass nehmen, ihre Rechenfehler zukünftig als Impuls zur Debatte über das enge Korsett der Mathematik zu bezeichnen. Das wäre eine harmlose Nebenwirkung. Dass ein Minister einer noch immer weithin als seriös eingestuften Partei von der Demagogie zur offenen Wissenschaftsfeindlichkeit übergeht, ist hingegen eine gefährliche Entwicklung. Und er ist nicht allein. In der Klimapolitik soll die gefühlte Wirklichkeit des besorgten Autofahrers zum Maßstab erhoben werden; mit Fakten zu kontern, gilt Scheuer als irre. Und wenn der besorgte Bürger nicht recht in die Gänge kommen mag, versucht man nachzu­helfen. In Stuttgart riefen Politiker von FDP, CDU und Freien Wählern zur Demonstration gegen den »Diesel-Stillstand« auf. Sie haben, wie die deutschen Automanager, zweifellos eine weiße Weste.