Das neue sächsische Polizeigesetz beschneidet die Grundrechte

Handgranaten für die sächsische Polizei

In vielen Bundesländern bereiten die Landes­regierungen neue Polizeigesetze vor – auch in Sachsen. Dort wollen CDU und SPD die Polizei aufrüsten, die Videoüberwachung ausweiten und die Grundrechte sogenannter Gefährder stark einschränken.

Sollte die AfD nach der Landtagswahl in Sachsen im Herbst an der Regierung beteiligt sein, kann sie sich über ein besonderes Geschenk von CDU und SPD freuen. Die beiden derzeit regierenden Parteien haben in den vergangenen Monaten ein neues Polizeigesetz für den Freistaat erarbeitet. Es beinhaltet im Wesentlichen mehr Befugnisse für den Staat und weniger Rechte für die Bürger. Dass der Landtag im März gegen die Änderungen stimmen wird, ist nahezu ausgeschlossen. CDU und SPD verfügen über eine ausreichende Mehrheit im Parlament.

Die anderen Bundesländer planen ähnlich drastische Verschärfungen oder haben diese bereits beschlossen. Lediglich das von Linkspartei, SPD und Grünen regierte Thüringen möchte nichts ändern. In mehreren deutschen Städten haben in den vergangenen Monaten Zehntausende Menschen gegen die neuen Polizeigesetze demonstriert. Obwohl sich in Sachsen bereits seit Mai 2018 ein großes Bündnis aus Parteien, zivilgesellschaftlichen Gruppen und linksradikalen Organisationen gegen das Gesetz ausspricht, gab es dort lange Zeit keine vergleichbaren Großdemonstrationen.

Seit knapp einem Jahr sorgen die in fast allen Bundesländern geplanten Gesetzesänderungen für heftige Diskussionen und Proteste. Bereits im Frühjahr 2018 hatten viele Medien über das »härteste Polizeigesetz seit 1945« in Bayern berichtet. Dort können sogenannte Gefährder für unbegrenzte Zeit in Gewahrsam genommen werden. Dabei handelt es sich um Personen, die keine schweren Straftaten begangen haben, aber diese angeblich planen. Zudem erhält die Polizei in Bayern weitreichende Befugnisse, um schon bei einer »drohenden Gefahr« einzugreifen. Was genau darunter zu verstehen ist, regelt das Gesetz nicht. Die Gerichte werden sich demnächst mit mehreren Klagen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz beschäftigen müssen.

Die anderen Bundesländer planen ähnlich drastische Verschärfungen oder haben diese bereits beschlossen. Lediglich das von Linkspartei, SPD und Grünen regierte Thüringen möchte nichts ändern. In mehreren deutschen Städten haben in den vergangenen Monaten Zehntausende Menschen gegen die neuen Polizeigesetze demonstriert. Obwohl sich in Sachsen bereits seit Mai 2018 ein großes Bündnis aus Parteien, zivilgesellschaftlichen Gruppen und linksradikalen Organisationen gegen das Gesetz ausspricht, gab es dort lange Zeit keine vergleichbaren Großdemonstrationen. Im November gingen in Dresden laut MDR lediglich 1 500 Menschen auf die Straße.

Die Kritik des sächsischen Bündnisses »Polizeigesetz stoppen« richtet sich unter anderem gegen eine weitreichende Videoüberwachung in einem Bereich von 30 Kilometern Entfernung entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien sowie Maßnahmen gegen »Gefährder«. Diese könnten zukünftig mit Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverboten belegt werden. Von möglichen Überwachungsmaßnahmen wären unter Umständen auch Begleitpersonen betroffen. Außerdem kritisiert das Bündnis die erweiterten Befugnisse für die Telekommunikationsüberwachung und die Aufrüstung der Polizei: Die Spezialeinheiten sollen Handgranaten und Maschinengewehre erhalten.

Dass die Ausrüstung mit Kriegswaffen dazu diene, Demonstranten einzuschüchtern, ist aus Sicht von Joachim Tüshaus ein nicht haltbarer Vorwurf. Der Referatsleiter im Sächsischen Innenministerium (SMI) hat den Gesetzentwurf mit Kollegen maßgeblich ausgearbeitet. Ende Januar beteiligte er sich mit fünf weiteren Gästen an einer Podiumsdiskussion in der Universität Leipzig. Anne Käm­merer, eine Sprecherin des Protestbündnisses, widersprach sofort: »Das haben sie ja schon gemacht.« Sie bezog sich dabei auf eine antifaschistische Demonstration in der sächsischen Kleinstadt Wurzen im September 2017. Kurz nach dem G20-Gipfel hatte dort eine vermummte und mit Sturmgewehren bewaffnete Einheit des Spezialeinsatzkommandos der Polizei die Demonstrierenden empfangen.

Günther Schneider, Staatssekretär im von der CDU geführten SMI, begründete die geplanten Änderungen damit, dass das geltende Gesetz nicht mehr den »Anforderungen der Zeit« genüge. Die bislang letzte nennenswerte Überarbeitung liege bereits 20 Jahre zurück. Schneider betonte, dass die Bevölkerung vor Terrorismus, organisierter Kriminalität und »Gefährdern« beschützt werden müsse. Ein sogenannter Richtervorbehalt solle dafür sorgen, dass Polizisten nicht willkürlich entschieden. Allerdings existiert der Richtervorbehalt häufig nur auf dem Papier. Dass Anträge nicht genehmigt werden, gilt als Ausnahme.

Auf eine mögliche Gesetzeslücke wies der Berliner Rechtsanwalt Bijan Moini hin. Ihm zufolge verbietet der Gesetzentwurf nicht, Handgranaten selbst dann zu verwenden, wenn Unbeteiligte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sterben würden. Moini nahm den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt als Beispiel: Würde in einem ähnlichen Fall der Fahrer des entführten LKW noch leben, dürfte die sächsische Polizei eine Handgranate werfen, um eine Amokfahrt zu stoppen – auch wenn dadurch höchstwahrscheinlich nicht nur der Attentäter sterben würde.

Bereits wenige Tage vor der Podiumsdis­kussion hatte in Dresden eine weitere Demonstration stattgefunden. An dieser beteiligten sich nach Angaben der Polizei etwa 5 000, den Veranstaltern zufolge etwa 7 000 Menschen, darunter mehrere Hundert Fans des Fußballvereins SG Dynamo, die ­hinter dem Demonstrationszug einen eigenen Block gebildet hatten. Ultras der BSG Chemie Leipzig hatten ebenfalls teilgenommen und in einem Redebeitrag über ihre Kampagne »129 Freunde« informiert. Die sächsischen Behörden hatten jahrelang gegen eine vermeintlich kriminelle Vereinigung in der Anhängerschaft des Clubs ermittelt und zu ­diesem Zweck nicht nur die direkt Verdächtigen überwacht, sondern auch zahlreiche ­Gespräche mit Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Anwälten und Journalisten abgehört (Jungle World 39/18). Da Letztere auch von den neuen Änderungen betroffen wären, solida­risierte sich der sächsische Landesverband des Deutschen Journalistenverbands mit den Demonstranten.

Eine andere Solidaritätsbekundung sorgte für Aufregung: jene für die Proteste der »Gelbwesten« in Frankreich. Während der Auftaktkundgebung war eine entsprechende Erklärung von einem Lautsprecherwagen zu hören. Die Bewegung sei zwar »widersprüchlich«, aber deswegen »nicht weniger legitim«, hieß es. In Deutschland nutzten bislang vor ­allem Rechtsextreme gelbe Westen, um zum »Widerstand« aufzurufen. Einige Mitglieder des Protestbündnisses lehnten eine Solidarisierung deshalb ab und kritisierten, dass es bei den vorherigen Absprachen keinen Konsens für eine solche Erklärung gegeben habe.

Einig wurden sich Ende Januar hingegen die Koalitionspartner in Sachsen: Während die CDU im Polizeigesetz auf die Einführung von Online-Durchsuchungen und Bodycams verzichten wird, konnte sich die SPD mit ihrer Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht nicht durch­setzen. Die sächsischen Jusos ­bezeichneten die Einigung ­anschließend als »Enttäuschung«. Das dürfte die Landtagsabgeordneten ­ihrer Partei jedoch nicht davon abhalten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.