Die »Gelben Westen« machen weiter

Gelb ins neue Jahr

Nach einem kurzen Abflauen gehen die Proteste der »Gelben Westen« in Frankreich auch in diesem Jahr weiter. Diskutiert wird derzeit vor allem über den Einfluss der Rechten auf die Protestbewegung.

Neues Jahr, neue Ruhe – das hatte die französische Regierung erhofft. Bei den jüngsten Demonstrationen der »Gelben Westen« am 22. und 29. Dezember hatte es schließlich so ausgehen, als flauten die Proteste ab. Für die Silvesternacht kursierten Aufrufe, in gelben Westen zur Feiermeile auf den Pariser Champs-Élysées zu kommen, um dort – vor den Kameras aus dem In-und Ausland – lautstark den Rücktritt des Präsidenten Emmanuel Macron zu fordern. Letztlich folgten ihnen jedoch nur rund 200 Menschen, so viele kamen jedenfalls mitsamt gelber Weste durch die Absperrungen und Polizeikontrollen. Zwischen den 250 000 Feiernden gingen sie vollständig unter.

Da die Proteste der Gelben Westen oft als rechts geprägt dargestellt werden, versucht ein Teil der bürgerlichen Mitte, die gesamte Bewegung zu diskreditieren. Ein weiterer Effekt dieser Polarisierung zwischen Bewegung und Regierung ist, dass die extreme Rechte dadurch in den Augen vieler Menschen zu einer wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft aufgewertet wird.

Doch am darauffolgenden Samstag war die Protestbewegung wieder da. Der Regierung zufolge, deren Angaben untertrieben sein könnten, demonstrierten am 5. Januar landesweit 50 000 Menschen, deutlich mehr als zuletzt. Die Pariser Demonstration mit etwa 5 000 Menschen war dabei offenbar relativ stark von Linken geprägt, soweit man dies an bekannten Teilnehmern und mitgeführten Aufklebern ablesen konnte. Zum ersten Mal gab es ver­einheitlichte Slogans wie »Gleichheit« und »Revolte«.

Am Rande der Demonstration kam es zu spektakulären Zwischenfällen. Am späten Samstagnachmittag befand sich der Regierungssprecher Benjamin Griveaux auf der Flucht. 15 bis 20 Gelbwestenträger hatten es geschafft, bis zu seinem Ministerium zu gelangen, nachdem Polizeikräfte wohl von dort abgezogen und andernorts eingesetzt worden waren. Dort klingelten sie an der Tür, ihnen wurde nicht geöffnet. Doch dann holte einer der Demons­tranten von einer nahe gelegenen Baustelle ein Fahrzeug und drückte damit die Tür ein. Griveaux ließ es nicht auf eine Diskussion ankommen. Diese Aktion dürfte kaum von längerer Hand vorbereitet worden sein, zumal auf Videos des Vorfalls zu erkennen ist, dass die Mehrzahl der Beteiligten sich keine Mühe gegeben hatte, ihre Gesichter zu verhüllen oder unkenntlich zu machen. Vielmehr dürfte die sich bietende Gelegenheit spontan den Anlass geliefert haben. In Regierungskreisen löste dieser Vorfall Verunsicherung aus.

Kurz zuvor war es auf einer der Seine-Brücken, die entlang der Strecke vom Pariser Rathaus zur Nationalversammlung liegen, zu Zusammenstößen Demonstrierender mit dort konzentrierten Polizeikräften gekommen. Auf einer dieser Brücken prügelten Polizisten auf Demonstrierende ein. Ein kurz darauf in der Öffentlichkeit nur noch als »der Boxer« bezeichneter Mann schlug seinerseits mehrere Beamte. Später kam heraus, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen früheren Profiboxer handelte, den ehemaligen Landesmeister Christophe Dettinger. Am Montagmittag stellte er sich selbst der Polizei, nachdem er kurz zuvor ein Video im Internet hochgeladen hatte, in dem er sein Auftreten erklärt. Innerhalb weniger Stunden wurde es 125 000 Mal gesehen. Er unterstütze die Protestbewegung und sei über die Polizeigewalt, die er zuvor bei anderen Gelegenheiten habe mitansehen müssen, empört. Ansonsten sei er »weder linksradikal noch rechtsradikal«, er liebe sein Land und sei stolz auf Frankreich, doch dessen »politische Klasse« sei für zu viel soziale Ungerechtigkeiten verantwortlich. Der französische Boxverband distanzierte sich von Dettinger, während sein früherer Trainer ihn in einem Interview unterstützte. Eine am Montag begonnene Spendensammlung in sozialen Medien für seine zu erwartenden Prozesskosten trug bis Dienstagmorgen 117 000 Euro ein.

Aus dem südfranzösischen Toulon kamen Bilder, auf denen man einen prügelnden Polizeioffizier sieht, dem noch kurz zuvor eine berufliche Auszeichnung verliehen worden war. Er versuchte sich zunächst damit zu rechtfertigen, dass auf den Videoausschnitten nicht das ganze Geschehen zu sehen sei. Er habe einen Demonstranten, der einen abgeschlagenen Flaschenhals als Waffe bei sich geführt habe, in Schach halten müssen. Dafür gibt es ­jedoch keinen Beleg. Später stellte sich heraus, dass der fragliche Polizist bereits in jüngerer Vergangenheit wegen gewalttätigen Fehlverhaltens im Dienst disziplinarrechtlich belangt worden war. Das sieht nicht besonders gut für seine Dienststelle aus. Die Dienstaufsichtsbehörde IGPN, die Fälle von Polizeiversagen und -gewalt untersucht, wurde eingeschaltet.

Am Montagabend kündigte Premierminister Édouard Philippe schärfere Sicherheitsmaßnahmen an. Am kommenden Samstag, für den zum »Akt IX« der Gelbwestenproteste aufgerufen wird, sollen in Paris erneut Panzerfahrzeuge eingesetzt werden. Zuletzt war dies am 8. Dezember der Fall. Allerdings rufen einige Sprecher der Protestbewegung dazu auf, am Samstag aus dem ganzen Land ins zentral gelegene Bourges zum Demons­trieren zu kommen. Ferner stellte Philippe einen Gesetzentwurf in Aussicht, der die systematische Strafverfolgung von Veranstaltern sowie Teilnehmern von unangemeldeten Demonstrationen ermöglichen würde.

In den ersten Januartagen entspann sich eine Debatte über den Einfluss der Rechten auf die Protestbewegung. Im Mittelpunkt stand dabei zeitweilig der 33jährige LKW-Fahrer Éric Drouet, mittlerweile einer der bekanntesten Vertreter der Gelben Westen. Er hatte etwa im Frühsommer 2018 im Internet mehrfach Kommentare gegen Einwanderung veröffentlicht. Zunächst hatte sich der Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon am 2. Januar positiv auf Drouet bezogen, »fasziniert« sei er von ihm. ­Daraufhin behauptete der prominente bürgerliche Fernsehjournalist Jean-­Michel Aphatie, Drouet sei 2017 »in beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahl« ein bekennender Wähler Marine Le Pens gewesen. Dies habe er in sozialen Medien gelesen, so Aphatie auf Nachfragen. Allerdings dementierte Drouet dies. Zwei Tage später behauptete der Sender BFM TV, Drouet habe 2017 Mélenchon gewählt.

In Kommentaren etwa im liberalen Wochenmagazin L’Express heißt es hingegen, Aphatie habe eventuell Drouet mit einem anderen Sprecher der ­Bewegung verwechselt, dem 31jährigen Leiharbeiter Maxime Nicolle alias »Fly Rider«. Über dessen Wahlverhalten ist nichts Näheres bekannt, doch bei Facebook hinterließ er wiederholt Likes bei Pressemitteilungen von Marine Le Pen. Zudem trat er immer wieder als Anhänger von Verschwörungstheorien in Erscheinung. Nach dem jihadistischen Attentat in Straßburg am 11. Dezember kommentierte er, es habe sich um eine false flag-Aktion der Regierung gehandelt. Nach Kritik löschte er diesen Kommentar wieder. Überdies verbreitete er bei Facebook abstruse Ankün­digungen von Plänen für einen »Dritten Weltkrieg«.

Auch eher progressive und nichtrassistische Personen wie die schwarze Karibikfranzösin Priscillia Ludosky, eine 39jährige Therapeutin, gehören zu den bekannten Vertreterinnen der Protestbewegung. Da sie im Dezember zwei Wochen lang in den USA weilte, war sie zeitweilig nicht mehr eine der führenden Exponentinnen der Bewegung; bei der Pariser Demonstration am Samstag nahm sie jedoch eine zentrale Rolle ein und hielt auch eine der Abschlussreden vor dem Rathaus. Drouet war hingegen nicht an Ort und Stelle.

Da die Proteste der Gelben Westen oft als rechts geprägt dargestellt werden – de facto ist die Bewegung heterogen –, versucht ein Teil der bürgerlichen Mitte in den Medien und im Regierungslager, die gesamte Bewegung zu diskreditieren, insbesondere seit dem Jahreswechsel. Ein weiterer Effekt dieser Polarisierung zwischen Bewegung und Regierung ist, dass die extreme Rechte dadurch in den Augen vieler Menschen zu einer wichtigen und für die Regierung gefährlichen Oppositionskraft aufgewertet wird. Am Montag erhielt die Bewegung unerwartete Unterstützung von der rechtspopulistischen italienischen Regierung. »Gelbe Westen, bleibt standhaft!« schrieb der stellvertretende Ministerpräsident Luigi di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung), ­sekundiert von Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega.