Trotz Wiedereinführung der pari­tätischen Krankenversicherung müssen Arbeitnehmer vieles selbst zahlen

Nicht ganz halbe-halbe

Ab diesem Jahr wird die gesetzliche Krankenversicherung wieder ­paritätisch finanziert. Die Versicherten bleiben aber weiterhin benachteiligt.

Was gut war, kommt wieder – diese Spruchweisheit bewahrheitet sich nur selten. Denn ob Abbau von Sozialleistungen oder die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten – was einmal weg ist, bleibt meist weg. Doch ab diesem Jahr gilt eine Regelung wieder, die tatsächlich die Bedingungen für Arbeitnehmer verbessert. In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, seit dem 1. Januar werden die Beiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt. Die Änderung kommt auch vielen Selbstständigen zugute, denn ihr Mindestbeitragssatz wird auf rund 171 Euro im Monat halbiert. Bislang mussten sich viele Selbstständige privat versichern, da die gesetzliche Krankenversicherung zu teuer war.

Die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung galt in der Bundesrepublik lange als un­antastbar, von 1951 bis zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD). Im Zuge der Agenda 2010 wurde jedoch mit den Hartz-IV-Gesetzen im Jahre 2005 auch eine Reform der Krankenversicherung beschlossen. »Man hat damals die Kosten für die Zahnersatzleistungen und das Krankengeld addiert und daraus einen Zusatzbeitrag errechnet«, sagt Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ) im Gespräch mit der Jungle World. Gesetzlich wurde dann festgelegt, dass künftig ein Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent allein von den Arbeitnehmern zu tragen sein sollte. Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD bestätigte diese Regelung 2015 noch einmal explizit. »Seit 2005 häuften sich durch die Abschaffung der paritätischen Finanzierung rund 145 Milliarden Euro an, die allein von den Versicherten getragen wurden mussten«, sagte Christoph Ehlscheid, der Bereichsleiter für Sozialpo­litik bei der IG Metall, der Jungle World.

Die Freude über die Wiederherstellung der Parität ist nicht ungetrübt. Arbeitnehmer müssen nämlich weiterhin Zuzahlungen hinnehmen. Von der Schuheinlage über den Zahnersatz bis zum Eigenanteil bei verordneten Medikamenten – die Kranken müssen weiterhin zahlen.

Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung sieht auch Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, positiv: »Der Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Rückkehr zur Parität ist ein längst überfälliger Schritt. Das eigentliche Problem sehen wir aber in der Mehrklassengesellschaft im Bereich der Krankenversicherung.« Über 100 gesetzliche Krankenversicherungen buhlen zurzeit um Kunden, in der Regel um junge und ge­sunde Kundschaft. Und daneben exis­tieren unverändert die privaten Kran­ken­versicherungen, die sich um die Gunst der Besserverdiener bemühen, mit deutlich besseren Leistungen und kürzeren Wartezeiten beim Arzt.

Doch der Bundesregierung geht es mit der Änderung nicht darum, die Einteilung der Versicherten in unterschiedliche Klassen aufzuheben. Vor allem linke Verbände und Politiker fordern aber genau das: eine Abkehr vom überholten Modell einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Gesundheitssystem und die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. »Wir brauchen einfach nicht über 100 Krankenkassen in Deutschland, sondern eine für alle«, betont Bentele. Die IG Metall fordert ebenfalls seit längerer Zeit die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung. »Zudem müsste auch die Beitragsbemessungsgrenze diskutiert werden, die derzeit bei 4 425 Euro im Monat liegt. Für den Einkommensanteil oberhalb dieser Grenze werden keine Beiträge mehr erhoben – egal, ob man 8 000 oder 10 000 Euro verdient. An dieser Stelle sind die Besserverdienenden deutlich privilegiert. Diese Ungerechtigkeit müsste geändert werden«, fordert Ehlscheid. Ab diesem Jahr liegt die Beitragsbemessungsgrenze bei einer Einkommenshöhe von 4 537,50 Euro im Monat.

Doch so einfach und einleuchtend das Konzept einer einzigen Versicherung für alle klingen mag: Der Krankenversicherungsmarkt in Deutschland ist starr. Die privaten Krankenversicherungen und ihre Kundschaft dürften Veränderungen schlichtweg ablehnen. »Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass man zwei bis drei Milliarden Euro im Jahr einsparen könnte, wenn die Beamten nicht mehr privat versichert wären. Und wenn die Beamten aus der privaten Krankenversicherung aussteigen müssten, wäre es deren En­de«, sagt Rakowitz.

Derart grundlegende Änderungen bringt das neue Jahr ohnehin nicht. Und auch die Freude über die Wiederherstellung der Parität ist nicht ungetrübt. Arbeitnehmer müssen nämlich weiterhin Zuzahlungen hinnehmen. Von der Schuheinlage über den Zahnersatz bis zum Eigenanteil bei verordneten Medikamenten – die Kranken müssen weiterhin zahlen. »Hierbei handelte es sich im Jahr 2017 um ein Vo­lumen von rund vier Milliarden Euro«, sagt Ehlscheid.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht kein Problem. »Für die Zuzah­lungen gibt es umfangreiche Sozialklauseln. Das ist sozial gut abgefedert«, sagt ein Pressesprecher. »Das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Von den Zuzahlungen kann man befreit werden, wenn man mehr als zwei Prozent seines Bruttogehalts für sie aufwenden müsste. Doch ohne enormen büro­kratischen Aufwand kann man den Antrag ohnehin gar nicht stellen«, kritisiert hingegen Rakowitz.

Noch etwas ändert sich ab diesem Jahr. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die gesetzlichen Krankenkassen aufgefordert, ihre Rücklagen endlich zu verwenden. Auf ungefähr 21 Milliarden Euro belaufen sich diese mittlerweile. Dem Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums zufolge übersteigen die Rücklagen »den gesetzlich festgelegten Rahmen um das Vierfache«.

Eine Beitragssenkung wäre also möglich. Doch viele Verbände fordern stattdessen eine Umverteilung der Überschüsse, um die Versorgung zu verbessern und langfristig abzusichern. »Die Überschüsse sind je nach Kasse sehr unterschiedlich und nicht gleichmäßig verteilt. Von einer Beitragsentlastung würden nur die Kunden einiger Kassen profitieren. Besser wäre es, diese Rücklagen umzuleiten in eine gute Versorgung. Mit den Überschüssen könnte zum Beispiel die Hilfsmittelversorgung verbessert werden«, sagt Verena Bentele. Rakowitz sieht es ebenso: »Eine Umschichtung der Rücklagen in eine gute Pflegeversorgung wä­re naheliegend.«

Eine solche Nutzung der vorhandenen Überschüsse würde sich nicht sofort bei den Versicherten bemerkbar machen. Sich für die Senkung der Beiträge einzusetzen, wäre deshalb etwa für die SPD naheliegend, um sich als Partei der Arbeiternehmer in Szene zu setzen. Die Sozialdemokraten müssten allerdings auf die Vergesslichkeit der Wähler hoffen, da die Aussetzung der Parität und die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge ursprünglich der SPD zu verdanken waren. Deren Vorsitzende Andrea Nahles versucht zurzeit eine ähnliche Vertuschung in Sachen Hartz IV – warum also nicht auch im Bereich der Krankenversicherung?