Vor 100 Jahren wurde die KPD gegründet

Morgen kommt die Weltrevolution

Vor 100 Jahren wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Gestritten wurde auf dem Gründungsparteitag vor allem über die Frage, ob man sich überhaupt an Wahlen beteiligen soll.

Es war nicht die erste Trennung. Als sich am 29. Dezember 1918 in Berlin die Delegierten des Spartakusbundes, seit der formellen Gründung am 11. November eine eigenständige, parteiunabhängige und reichsweite Organisation, zu einer nichtöffentlichen Sitzung trafen, beschlossen sie mit drei Gegenstimmen die endgültige Trennung von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und die Bildung einer eigenen, revolutionären Partei, die sich nach einigen Diskussionen Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund) nannte. Die USPD hatte sich ihrerseits 1916/17 von der SPD wegen deren sturer Politik des »Burgfriedens« abgespalten.

Vor 50 Jahren fand der Historiker Hermann Weber, »der Streiter gegen die Kreuzritter des heutigen Antikommunismus«, wie er im Neuen Deutschland genannt wurde, zufällig das verschollene Originalprotokoll des dreitägigen Gründungsparteitags der KPD und publizierte es. Seither weiß man, dass auf dieser mangelhaft geplanten und überstürzt einberufenen Konferenz die Gründung einer neuen Partei lediglich vorbereitet werden sollte. Karl Radek, ein Genosse Lenins, resümierte später: »Die Verbindung mit den Massen war äußerst schwach. Ich fühlte nicht, dass hier schon eine Partei vor mir war.«

Dafür war die Organisation auch viel zu heterogen, eine feste, einheitliche Ideologie fehlte vollkommen. An der Spitze standen Marxisten. Aus der ­Arbeiterschaft, oft entwurzelt durch Krieg und Revolution, stießen anarchosyndikalistische und in einem sehr allgemeinem Sinn revolutionär gestimmte Kräfte hinzu. Ein ultralinker Flügel propagierte den sofortigen gewaltsamen Aufstand, Forderungen nach einem parlamentarischen Übergang in den Sozialismus lehnte man ab. Eine weitere Fraktion, als »kommunistische Realpolitiker« bezeichnet, befürwortete hingegen eine aktive Parlaments- und Gewerkschaftsarbeit.

Schon dass man die Frage nach einer Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung stellte, reizte und entsetzte die meisten Delegierten.

Bei aller Vielstimmigkeit innerhalb des damals entstehenden deutschen Kommunismus verdeutlichen die Diskussionen auf dem Gründungsparteitag, dass sich grundsätzlich zwei Haupt­richtungen unterscheiden lassen: Während die eine Gruppe eine revolutionäre Kaderpartei als Vorhut und Avantgarde der Arbeiterklasse gründen wollte, die die Revolution auslösen und führen sollte, vertraute die andere auf die Massenbewegung, der es eine Orientierung zu verschaffen galt. Aufgabenstellung und Rolle der Partei wurden trotz prinzipieller Übereinstimmung in der Zielsetzung von den beiden führenden Kräften unterschiedlich gedeutet: leninistisch oder luxemburgistisch.

Schon dass man überhaupt die Frage nach einer Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung stellte, reizte und entsetzte die meisten Delegierten. Hatte nicht die Rote Fahne, das Zentralorgan zunächst des Spartakus­bundes und dann der Kommunistischen Partei, dauernd die Nationalversammlung als Instrument der Gegenrevolution gebrandmarkt? Und nun sollte man plötzlich darüber beraten, sich an ihr zu beteiligen? Paul Levi, ein Redakteur der Roten Fahne, brillanter Jurist und Strafverteidiger von Rosa Luxemburg, setzte sich zu Beginn der Debatte mit aller revolutionären Rhetorik, oft von Zwischenrufen unterbrochen, konsequent für eine Wahlbeteiligung ein: »Es ist unsere Pflicht, in jenes Gebäude einzudringen, es ist unsere Pflicht, die Feuerbrände zu werfen in diese Schanzen, unsere Pflicht, auch so weit den Kampf aufzunehmen, wie wir ihn aufnehmen würden in jeder anderen Situation, wo die Bourgeoisie uns die Stirn bietet.« Auch Karl Liebknecht sprach sich in seinem Referat für die Wahlbeteiligung aus, wenn auch weniger vehement und etwas verhalten. Nach seiner Rede, in einem Gespräch mit Leo Jogiches, gab Liebknecht zu: »Offen gesagt, ich lege mich abends hin und bin für die Wahlen, und morgens beim Aufwachen bin ich dagegen.«

Rosa Luxemburg – das Protokoll konstatierte bei ihrem Erscheinen wie gewohnt den lebhaftesten Beifall – intonierte: »Ihr wollt euch euren Radikalismus ein bisschen bequem und rasch machen (…) Aber was wir bisher in Deutschland sehen, das ist die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgabe zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen (…) Sie verstehen: Entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus.«

 

Die linksradikale Gegenseite hielt eine Wahlbeteiligung für reine Zeitverschwendung. Man kalkulierte den Zeitraum bis zur Machtübernahme auf höchstens 14 Tage. Zehn Mann auf der Straße seien mehr Wert als 1000 Stimmen bei den Wahlen. Radek entfesselte Beifallsstürme, als er sagte: »Das, was wir jetzt in Russland verwirklichen, das ist nichts anderes als die große unverfälschte Lehre des deutschen Kommunismus, den Marx vor der Arbeiterklasse der ganzen Welt vertrat.« Die gänzliche Abschaffung der besitzenden Klasse könne nicht erfolgen durch parlamentarische Verhandlungen und Beschlüsse. Der Gedanke des Rätesystems sei empirisch gewachsen. Dieses Bekenntnis zum Rätesystem deutete die große Mehrheit der Delegierten als radikalen Antiparlamentarismus. Der Antrag, sich nicht an den Wahlen zur Nationalversammlung zu beteiligen, wurde mit 62 gegen 23 Stimmen angenommen.

Dabei hatte Luxemburg zuvor schon die Russische Revolution einer kritischen Würdigung unterzogen, ihre Anerkennung der historischen Leistung der Bolschewiki war nicht kritiklos. Bereits in den Spartakusbriefen hatte sie von der »russischen Tragödie« gesprochen. Am klarsten setzte sie sich in ihrer Gefängnisschrift »Die Russische Revolution« mit Lenin auseinander. Antidemokratische Maßnahmen kritisierte sie entschieden und warnte davor, dem russischen Beispiel blind nachzueifern: »Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen.«

Bereits auf dem II. Parteitag im Oktober 1919, bei dem die ultralinke Opposition aus der Partei gedrängt wurde, wurden Levis »Leitsätze über den Parlamentarismus« mehrheitlich angenommen. Zwar hieß es noch immer, die KPD stehe dem Parlamentarismus ­ablehnend gegenüber, doch wurde die Teilnahme an Wahlen als »rein taktische« Frage bezeichnet.

Die Frage, ob man sich an Parlamentswahlen beteiligen sollte, die heutzu­tage viele Linksradikale wohl verneinen würden, musste damals allerdings in einem anderen Kontext entschieden werden. Bis zum Ende der Monarchie galt das Dreiklassenwahlrecht, Frauen durften 1919 zum ersten Mal wählen. Die Hoffnung, mit den eigenen Anhängerinnen und Anhängern in den bürgerlichen Parlamenten einen kleinen Beitrag zur Destabilisierung des kapitalistischen Herrschaftssystems zu leisten, war nicht unbegründet. Dass diese Machtapparate eine enorme Integra­tionsfähigkeit besitzen, die antikapitalistischen und emanzipatorischen Bewegungen nicht immer guttut, wurde erst später deutlich.

Der Gegensatz zwischen der leninistischen und luxemburgistischen Parteiauffassung bestimmte den gesamten Gründungsparteitag, angefangen bei der Diskussion über den Namen der neuen Partei über die Frage der Beteiligung an bürgerlichen Parlamentswahlen und die nach Art und Weise der zu führenden wirtschaftlichen Kämpfe – nicht alle Delegierten favorisierten die Transformation der gesamten Volkswirtschaft nach dem Vorbild der deutschen Post, wie es Lenin vorschwebte – bis hin zu einzelnen Programmpunkten des Spartakusbundes. Dieser Antagonismus gilt als Antizipation der zahlreichen Parteispaltungen während der Weimarer Republik. Das Programm, das die Delegierten am Neujahrstag verbindlich annahmen, enthielt weitgehend die Zielvorstellungen und das Aktionsprogramm des Spartakusbundes, wie es Luxemburg ausgearbeitet hatte, und gilt als »Ausdruck der eigenen programmatischen Form, die der deutsche Kommunismus gefunden hatte« (Hermann Weber). Auffällig sind lediglich einige Unterschiede zur Programmatik und Taktik des damaligen Bolschewismus: die Rolle der Partei in der Massenbewegung, Methoden der Machteroberung sowie die Rolle des Terrors.

Welches Potential für eine emanzipierte antikapitalistische Gesellschaft in der neuen Partei steckte, verdeutlichen die Diskussionen auf diesem ersten Parteitag. Daraus zu schließen, die Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen, wären ihre führenden Köpfe nicht dem Bündnis von SPD, völkischen Freikorps und regulärer Armee zum Opfer gefallen, ist aber voreilig. Der nicht parteigebundene rätekommunistische Theoretiker Willy Huhn formulierte dies so: »Die Niederlage der Novemberrevolution war eine Folge der durch den ›Kriegssozialismus‹ bewirkten und bleibenden Integration weiter Teile des Proletariats in den deutschen Staat.« Theodor W. Adorno schrieb zu Beginn der fünfziger Jahre: »Seit mehr als 30 Jahren zeichnet sich unter den Massen in den hochindustriellen Ländern die Tendenz sich ab, anstatt rationale Interessen und allen voran das der Erhaltung des eigenen Lebens zu verfolgen, sich der Katastrophenpolitik zu überantworten.« In den Vorlesungen über negative Dialektik heißt es dann, der Übergang, der Karl Marx zufolge in der Periode von 1848 bevorgestanden habe, sei nicht eingetreten. Der qualitative Sprung, durch den die Welt verändert worden wäre, sei nicht erfolgt und das Proletariat habe sich nicht als das »Subjekt-Objekt der Geschichte« konstituiert, als das es »der Theorie von Marx zufolge sich hätte konstituieren sollen«.

Der Spartakusaufstand und die Räterepubliken in Bremen, München und Budapest blieben kurze Episoden, waren aber für eine Generation von Intellektuellen, zu der auch Adorno gehörte, eine einschneidende politische Erfahrung. »Dass nämlich«, wie es Leo Löwenthal einmal formulierte, »die Weltrevolution um die Ecke ist«, war nicht nur für politisch Linke damals gewiss.