Zu den Protesten der »Gelben Westen« haben russische Accounts Fake News verbreitet

Die Wut und die Trolle

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Allerdings tragen auch Fotografen zur Produktion von Fake News bei: Ein Foto etwa zeigte heftig lodernde Flammen, vielleicht von in Brand gesetzten Barrikaden, unmittelbar vor dem Arc de Triomphe am 8. Dezember. Der Eindruck, dass während der Demonstration auf den Champs-Élysées ein großes Feuer gelegt wurde, das vielleicht schon bald das historische Gebäude beschädigen könnte, war wohl gewollt. Die Zeitung Le Point veröffentlichte auf ihrem Twitter-Account dagegen ein Bild von der Entstehung des Bildes: Vor ­einem auf der Avenue de Friedland in Brand geratenen, auf der Straße liegenden und zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich ausgebrannten Kickboard kauern vier Fotografen – weil es nur aus dieser Perspektive möglich war, die kleinen Flammen vor dem Arc de Triomphe abzubilden.

Am 9. Dezember erklärte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, dass eine Verwicklung Russlands in die Proteste geprüft werde. 600 Accounts seien mit der Verbreitung von Fake News über die »Gelben Westen« beschäftigt, sagte Bret Schafer, Analyst der »Alliance for Securing Democracy« und dort zuständig für soziale Medien. Eine Szene, die Twitter-User auf der ganzen Welt beeindruckte, kam aber vom russischen Sender RT: Auge in Auge protestierenden gilets jaunes gegenüberstehend, nahmen französische Polizisten ihre Helme ab – die Polizei soli­darisiere sich bereits mit den Protestierenden, lautete die Schlagzeile.

Das Video zeigt allerdings nicht die ganze Wahrheit. Die Polizisten in der südwestfranzösischen Stadt Pau hatten nach Berichten von französischen Journalisten vor Ort ihre Helme nicht abgenommen, um sich den Protesten anzuschließen, in Wirklichkeit waren sie nur kurz entfernt worden, um ­Anweisungen weiterzugeben. Dass die Falschmeldung sich so rasch verbreitete, liegt unter anderem daran, dass vor ­allem RT (in Deutschland Ruptly) oft zu den wenigen Sendern gehört, die ­Demonstrationen von Rechten und Linken live übertragen und sich bewusst meistens mitten ins Geschehen begeben, um möglichst spektakuläre Bilder zu liefern. Dazu passt, dass bis zum 10. Dezember zwölf Mitarbeiter russischer Fernsehstationen bei den Protesten verletzt wurden, mehr als Journalisten von ­allen anderen Sendern und Publika­tionen.

Am Beispiel des Mordversuchs an Sergej Skripal und seiner Tochter im Frühjahr schilderte die Washington Post vergangene Woche, wie die Desinformationskampagnen der russischen Regierung funktionieren. 46 verschiedene Versionen, von wem und wie der ehemalige Agent vergiftet worden sein könnte, wurden demnach von im Ausland ausgestrahlten Regierungssendern wie RT und Sputnik verbreitet, dazu ­kamen Geschichten, die Diplomaten und Propaganda-Accounts auf Twitter verbreiteten.

Dass solche Versionen einander ­widersprechen, sei den Verbreitern dabei ziemlich gleichgültig, wie Peter ­Pomerantse, ein ehemaliger russischer Fernsehproduzent, in seinem Buch »Nothing Is True and Everything Is Possible: The Surreal Heart of the New Russia« ausführt. Das Ziel sei vielmehr, Menschen zu verunsichern, bis sie nicht länger glauben, dass die Medien in ihrem Land ihnen die Wahrheit sagten. Das bestätigt auch Jakub Kalenský, der bis vor kurzem für die von der EU betriebene East Stratcom Task Force tätig war, die russische Desinformationen untersucht. Anders als im Kalten Krieges gehe es heute nicht mehr darum, die Leute mit einer möglichst überzeugenden Version auf seine Seite zu bringen, so Kalenský. Ziel sei vielmehr, Medienkonsumenten durch viele ­unterschiedliche Deutungen, angebliche Augenzeugenberichte und gefälschte Bilder so zu verwirren, dass sie daran zweifeln, jemals die Wahrheit zu er­fahren. 1,3 Milliarden US-Dollar lässt sich die russische Regierung die Propagandaverbreitung jährlich kosten, sagt Kalenský. Das Geld sei gut angelegt: »Das ist schon eine sehr kostengünstige Methode, zu stören und zu unterwandern.« 293 Millionen US-Dollar werden dazu jährlich für den Betrieb des Auslandssenders RT aufgewendet. In den meisten europäischen Ländern im Kabelnetz eingespeist, ist das Programm bei den Zuschauern ­allerdings nicht sonderlich beliebt. In sozialen Medien werden die RT-Videos dagegen besonders nach Anschlägen und anderen Ereignissen, die die Menschen bewegen, massenhaft verbreitet – dafür sorgen unter anderem die großen US-amerikanischen Alt-Right- und Verschwörungstheorie-Webseiten, die RT ideologisch nahestehen. Womit immerhin geklärt wäre, woher so einiger Zulauf der »Gelben Westen« kam.