Homestory #50

Die fünfjährige Tochter einer Redakteurin machte sich Sorgen. Ein Kollege ihrer Mutter hatte kurzerhand den Fahrradhelm und eine Schwimmbrille eingepackt und übers Wochenende einen Flug nach Paris gebucht. »Was, wenn sie das da nicht wollen?« fragte die Kleine abends vor dem Einschlafen. Wieso sollten »sie« das nicht wollen, versuchte die Redakteurin ihrem Kind die Sorgen auszureden. Schließlich müsse es ja Nachrichten aus aller Welt geben. Das Kind überlegte kurz. »Aber da, wo Deniz war, wollten sie es nicht.« Wenig später schlief das Kind, die Redakteurin aber konnte nicht schlafen. Eigentlich wäre sie auch gerne nach Paris gefahren – und nicht nur sie. Schließlich ist es der natürliche Impuls einer kritischen linken Journalistin, immer möglichst nahe am Geschehen zu sein.

»Ich hätte gern vom Café aus zugesehen und mein Croissant in den Kaffee gestippt«, sagt eine Kollegin, die ebenfalls wegen ihres Kindes zu Hause geblieben ist, statt im winterlich-grauen Paris den Geruch von Tränengas und brennendem Benzin zu schnuppern. Paris ist ja auch nicht irgendeine Stadt, sondern auch der Schauplatz der revolutionären Kämpfe von 1789, 1830, 1848, 1871 und 1968. Wo Barrikaden gucken, wenn nicht an den Ufern der Seine?

Eine Person aus der Geschäftsführung, die anonym bleiben will, hat für den ganzen Pariser Revolutions- und Romantikkitsch nichts übrig. »Also, wenn ich überhaupt nach Frankreich fahre«, heißt es von dieser Seite, »dann nach Marseille, da gibt es wenigstens Meer und die Leute sind nicht so prätentiös.« Überhaupt würden das Land, die Leute und deren angebliche bonne cuisine maßlos überschätzt – man denke nur an Croissants, Baguette und den ganzen kalorienreichen Weißmehlquatsch. Der Wein? Nein, dann doch lieber einen guten aus Italien. Und diese Sprache, bei der alles so ­komisch ausgesprochen wird – entsetzlich. »Aber der Akzent«, versucht der eben wieder aus Paris zurückgekehrte und noch völlig unter Adrenalin stehende Kollege zu beschwichtigen, »der ist doch süß.« Dieser Akzent, mit dem Französinnen und Franzosen bei jeder Gelegenheit ihre Unfähigkeit unter Beweis stellen, andere Sprachen als die ihre auch nur halbwegs korrekt wiederzugeben, sei ja nun wirklich alles, nur nicht »süß«, schimpft die anonyme Person aus der Geschäftsführung. Soll der Kollege mit seiner lächerlichen Schwimmbrille doch an irgendwelchen Barrikaden herumrennen und Französinnen süß finden. Im Winter! So ein Idiot.