Im Erdölfördergebiet Kolumbiens wehren sich indigene Gemeinden gegen ihre Verdrängung

Hinter den Pipelines

Seite 2 – Das Land zurückerobern


Zwei der Bauern kochen zwischen improvisierten Hütten aus Plastikplanen und Scharen von Hühnern einen sancocho, einen deftigen Eintopf, auf Holzfeuer, um ihn den Besucherinnen und Besuchern anzubieten. Erst 2013 trauten sich die Vertriebenen wieder auf ihr Land zurück, 99 Familien organisierten sich. Torres war von Beginn an dabei: »Kaum waren wir aufgebrochen, stellten sich uns Militär, Polizei und die privaten Schergen von Oxy in den Weg.« Bei der ersten Besetzung gab es unzählige Verletzte, staatliche Kräfte schossen mit scharfer Munition. »Wir erkennen das Militär und die Polizei nicht als legitim an. Für uns sind das nichts als Söldner«, sagt Torres und ein älterer Mann pflichtet ihm bei.

»Dort, wo in meiner Kindheit unser Haus war, die Schule, der Weg zwischen den Häusern, fanden wir nur Urwald vor«, erinnert sich der ältere Mann, dessen Gesicht unter einem breiten Hut verborgen ist. Die entschlossenen Familien erobern das Land zurück. Sie bauen Nahrungsmittel an, halten Tiere und errichten improvisierte Behausungen inmitten der Natur. Sie bewirtschaften als Kollektiv die Felder mit Mais, Kürbis, Maniok, Kochbanane, Kakao, Salaten und Kräutern sowie Obstplantagen mit Maracuja, Papaya, Guaven und Zitrusfrüchten. Zudem hat jede Familie eine kleine Parzelle, auf der sie eigenes Gemüse anbauen kann. Alle haben gleich viel Land, unabhängig davon, wie umfangreich der Besitz ihrer Familien zuvor war.

Doch die Besetzungen bleiben bedroht. Militär und Polizei versuchen im Auftrag von Oxy weiterhin, die Siedlerinnen und Siedler zu vertreiben. Sie zerstören die Camps, vernichten die Vorräte an Lebensmitteln und bedrohen die Menschen. »Aber wir haben uns entschieden«, sagt Torres. »Hier holen sie uns nur mit den Füßen zuerst heraus.« Oxy hat mindestens 16 Bauern wegen Umweltzerstörung, Raub, Eigentumsverletzung und Bedrohung staatlicher Institutionen angezeigt. Para­militärische Gruppen haben Morddrohungen gegen die Besetzerinnen und Besetzer ausgesprochen und hinterlassen einschüchternde Schmierereien. Dem Protest der Besetzer wohlgesonnene Politiker und Richter bekommen Morddrohungen. Des Öfteren tauchen bewaffnete Männer in der Siedlung auf und fragen nach einzelnen Personen. Die Zugänge und Wege werden zerstört oder mit Stacheldraht versperrt. »Aber für jeden versperrten Weg tun wir einen neuen auf. Wir kennen diese Region besser, der Wald ist unser Zuhause«, erklärt ein Bauer.

Die Ölfirma arbeitet aber nicht nur mit Drohungen, sondern verhandelt auch. Sie wollte die Familien umsiedeln, aber die trauen den Versprechungen nicht mehr. Ihre Verbundenheit mit dem Land ist stärker als die Angst vor Repressalien. »Wir wollen, dass kein Öl gefördert wird. Weiter haben wir mit Oxy nichts zu besprechen«, sagt Torres bestimmt. Die Bäuerinnen und Bauern sind fest entschlossen, keine weitere Förderanlage zuzulassen. Denn der einst versprochene Fortschritt trat nicht ein, stattdessen wurde die Umwelt geschädigt. Wenige Meter neben den Hütten verläuft ein schlammiger Fluss, ehemals schiffbar, doch sind nur Morast und Pfützen übergeblieben. Der Ölkonzern pumpt das gesamte Wasser der Region ab. Torres zufolge gab es 29 solcher Zuflüsse zur Lagune Lipa. Dieses einmalige Ökosystem aus Flüssen und Seen mit endemischen Tier- und Pflanzenarten wur­de von Oxy bereits zerstört. Mehr als 200 Förderanlagen hat die Firma in Caño Limón in Betrieb, eine davon keine 50 Meter von der Siedlung »El ­Vivero« entfernt. Insgesamt umfasst das Erdölfeld ein Gebiet von rund 100 000 Hektar. Torres und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben bereits 4 000 davon zurückerobert. Er möchte, dass das Gebiet zur bäuerlichen Autonomieregion deklariert wird.

 

Bedrohtes Ökosystem

Derzeit ist es nicht für die Landwirtschaft ausgewiesen. Die Regierung verfolgt die Strategie, Gebiete zu Naturschutzzonen zu erklären, nur um sie später den Erdöl- und Bergbaufirmen zu überlassen. In Caño Limón hatte das Umweltministerium bereits in den achtziger Jahren eine Schutzzone eingerichtet. Mit der Erklärung zum Naturschutzgebiet wurden auf 142 125 Hektar das Jagen und Fischen sowie die Landwirtschaft verboten. Damit wurde Indigenen und Bauern die Lebensgrund­lage entzogen, die auf Subsistenzwirtschaft beruht. Das Schutzgebiet wurde dann an die Ölfirma Oxy übertragen, die dort Öl fördern darf, was angeblich nachhaltig geschieht. Für Torres ist das eine verkehrte Welt: »Mein Maisfeld soll die Umwelt zerstören, aber eine Ölförderanlage nicht?« Er ist überzeugt: »Die Umweltbehörde arbeitet mit der Wirtschaft Hand in Hand.«

Bereits zwei Jahre nach Beginn der Förderung kamen unabhängige Studien zu dem Schluss, dass die Ökosysteme der Flüsse stark bedroht seien. Sie berichteten von dramatischem Fisch­sterben. Die Artenvielfalt der Region, die einst dazu geführt hatte, dass sie zum Schutzgebiet deklariert wurde, war bereits beträchtlich reduziert und die Wasserläufe hatten sich radikal geändert. Die landwirtschaftliche Produktion ging wenige Jahre nach Förderbeginn auf den Ölfeldern spürbar zurück – allein der Maisanbau um 70 Prozent.

Wer auf Arbeit bei Oxy gehofft hatte, wurde schnell enttäuscht, denn die Firma brachte Facharbeiter mit und stellte nur wenige Menschen aus der Region ein – ohne langfristige Verträge. Es ist verständlich, dass so etwas bei einigen Menschen zu großer Wut führt und Gruppen wie die Guerilla ELN weiterhin aktiv sind. Angesprochen darauf, was die Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung vom Friedensprozess der kolumbianischen Regierung mit der Guerillagruppe Farc halten, sagt ein Mann, der sich bislang nicht geäußert hatte, nachdenklich: »Wir haben von der Regierung und der Farc nichts erwartet.« Auf eine Frage nach dem Friedensprozess mit dem ELN und dazu, wie deren Anschläge aufgenommen werden, erwidert er: »Was ist ein Anschlag auf eine Ölpipeline, die dann sofort blockiert, gegen den täglichen Angriff von Oxy und der Regierung auf unsere Lebensform? Weißt du eigentlich, wie viele Barrel Öl jeden Tag als Kollateralschaden bei der Ölförderung austreten?«