Homestory

Homestory #48

Sind Sie auch schon so aufgeregt? Am Samstag ist es endlich so weit. Dann wird Andrés Manuel López Obrador als neuer Präsident Mexikos vereidigt. Aber das ist doch nebensächlich. Viel besser ist: Dann darf das erste Türchen geöffnet werden! Eine kleine Überraschung, ein bisschen Vorfreude, ein wenig Naschen, und das 24 Tage lang bis zum wirklichen großen Fest des Konsums und des absoluten Völlegefühls. Oder passiert da am Samstag bei Ihnen gar nichts? Gehören Sie wie die Mehrheit der Jungle World-Beschäftigten zu denjenigen Menschen, die gar keinen Adventskalender ­haben? Eine Kollegin behauptet gar, sie habe noch nie einen Adventskalender besessen, nicht einmal als Kind, und redet sich kulturrela­tivistisch raus: »Ich komme aus einem anderen Kulturkreis, so was kenne ich nicht!« Das ist ja wohl keine Kultur, wenn man nicht jeden Tag ein kleines Geschenk bekommt und zugleich dazu erzogen wird, diszipliniert nicht alle Türchen auf einmal aufzumachen.

Das stärkt den Charakter, schützt vor Hedonismus und nährt dennoch die Hoffnung und das Bauchfett. »Ich habe keine Kinder«, wehrt ein anderer Kollege ab. Nachdem er noch einmal in sich gegangen ist, fällt ihm allerdings ein: »Süßes jeden Tag wäre doch etwas Feines.« Allerdings bevorzugt er die US-Variante, dass man an Weihnachten einfach den Strumpf gefüllt bekommt, der am Kamin auf Santa wartet. Eine Kollegin beschwichtigt, ihre Tochter bekomme einen Adventskalender, sie wisse nur noch nicht, welchen. Für sich selbst wünsche sie sich einen »mit Schuhen«, sagt sie mit leuchtenden Augen. Pragmatisch bleibt ihre Tischnachbarin und wünscht sich einfach Geld. Etwas feingeistiger geht es beim Kollegen zu, der sich »jeden

Tag ein kleines Musikinstrument« wünsche, seine Kinder würden hingegen nur mit Schokolade abgespeist.

Etwas »liebevoll Selbstgebasteltes« würde sich – wer sonst – eine Layouterin wünschen. Ihre Kollegin sieht in so einem Kalender mehr Potential: »Sie haben heute frei«, solle jeden Tag hinter dem Türchen stehen.

»Kleine Schnapsfläschchen wären mal was«, träumt eine andere Kollegin. Bescheiden sieht es beim Kollegen aus, dessen Adventskalender nur aus Bildern mit Weihnachtskugeln und Elchen bestehe. Aber so ganz genau wisse er das nicht, schließlich seien noch alle Türchen verschlossen. Handfester wird es beim Kollegen, der einen Adventskalender eines Sextoy-Unternehmens akzeptieren würde, müsste er sich denn für einen entscheiden. Ohne Reue gibt ein Lektor zu, dass er den Schokoladenkalender, den er beim Blutspenden bekommen habe, bereits vor zwei Wochen restlos leer­gefuttert habe – natürlich streng in der richtigen Reihenfolge. Am schönsten hat es aber der Hund eines anderen Lektors: Er bekommt in seinem Adventskalender jeden Tag Schilddrüsentabletten im Leberwurstmantel.