Víctor Fernández, Anwalt, im Gespräch über den Prozess wegen des Mords an der Umweltschützerin Berta Cáceres

»Es wird versucht, die Hintergründe der Tat zu verschleiern«

Víctor Fernández ist der Anwalt der Familie der Umweltschützerin Berta Cáceres, die am 2. März 2016 in ihrem Haus in La Esperanza in Honduras ermordet wurde. Zudem ist er Sprecher des Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia (Bewegung für Würde und Gerechtigkeit, MADJ). Die Bewegung entstand im Jahr 2008 als Reaktion auf die Korruption im Staatsapparat auf Initiative mehrerer Anwälte.
Interview Von

Derzeit wird der Mord an Berta Cáceres in Tegucigalpa vor Gericht verhandelt. Welchen Stellenwert hat dieser Fall für Honduras?
Der Mord hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Berta Cáceres war schon zu Lebzeiten bekannt, sie wurde mit Preisen ausgezeichnet. Ihre Ermordung hat sie international noch bekannter gemacht und das hat Folgen. Der Fall hat einen ganz anderen Stellenwert in diesem Land, in dem Gewalt und Morde mittlerweile an der Tagesordnung sind.

Die Frage nach den Ursachen und den Motiven für diesen Mord betrifft die politischen Verhältnisse und die Führungsschicht in diesem Land, daher gibt es vielfältige Bemühungen, den Mord in einen Zusammenhang mit der alltäglichen Kriminalität zu stellen. Hier wird versucht, ein unzureichendes Urteil zu erwirken und die Hintergründe der Tat zu verschleiern, um die Gemüter zu beruhigen.

Das wollen Sie und Ihre Organisation verhindern?
Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen – wir wollen die Abläufe im Justizsystem, die quasi Normalität geworden sind, durchbrechen. Wir wollen kein zu kurz greifendes Urteil, in dem die ausführenden Organe verurteilt werden, aber die Auftraggeber, die Verantwortlichen, nicht belangt werden.

Das klingt, als würde die Justiz ­klaren Vorgaben folgen. Ist die Justiz nicht unabhängig?
Nein. Das ist Teil der Realität in Honduras und genau das ermöglicht Morde wie den an Berta. Es gibt keinen politischen Willen, Ermittlungen aufzunehmen. Die Tat wurde zunächst als gewöhnlicher Mord eingestuft – eine Tote mehr in einem Land, in dem täglich Menschen ermordet werden. Genau das ist aber nicht der Fall, denn wir haben ermittelt und herausgefunden, dass hinter dem Mord ein politisch-militärisches Netzwerk steckt. Das erklärt auch, warum unsere Arbeit systematisch behindert wird. Es geht darum, zu verschleiern, dass es diese Netz­werke gibt und wie sie operieren. Es ist bekannt, dass Honduras ein Land ist, in dem soziale Aktivisten gefährlich leben, in dem systematisch gemordet wird. Darauf könnte der Prozess das Augenmerk richten, aber das will man verhindern.

Ist der Prozess richtungsweisend?
Ja, denn er könnte die Funktionsweise des Machtapparats offenlegen. Das will dieser verhindern, deshalb wurden auch die Verantwortlichen des Unternehmens, die das Wasserkraftprojekt (Agua Zarca, gegen das Cáceres mit der Menschenrechtsorganisation COPINH protestierte, Anm. d. Red.) in Honduras durchsetzen wollten, nicht als Zeugen zur Befragung geladen. Auch die Funktionäre, die die Konzession für das Kraftwerk bewilligten, obwohl sie damit geltendes Recht verletzten, wurden nicht vorgeladen.

»Erst als die Proteste im Land und die internationale Kritik wuchsen, präsentierte die Staatsanwaltschaft die verantwortlichen bezahlten Mörder, aber eben nicht die Auftraggeber.«

Ist es die Strategie der Richter, den Prozess möglichst schnell zu beenden und nur die kleinen Fische zu verurteilen?
Ja, von Beginn an, denn schon wenige Stunden nach dem Mord an Berta Cáceres hat sich der Sicherheitsminister Julián Pacheco klar geäußert, den Mord als ein »Verbrechen aus Leidenschaft« deklariert und Ermittlungen gegen COPINH angeordnet. Erst als die Proteste im Land und die internationale Kritik wuchsen, präsentierte die Staatsanwaltschaft die verantwortlichen bezahlten Mörder, aber eben nicht die Auftraggeber. Nur internationaler Druck hilft da weiter.

Einige Botschaftsvertreter wohnen dem Prozess bei – hat das eine ­Wirkung?
Ich bin mir da nicht so sicher, denn es hat trotzdem Rechtsverletzungen im Prozess gegeben. Ich denke, dass Druck auf anderen Wegen aufgebaut werden sollte. Honduras benötigt Unterstützung aus dem Ausland und das Risiko, diese zu verlieren, werden die Verantwortlichen nicht eingehen wollen – also machen sie Zugeständnisse.

Das Justizsystem ist stark geschwächt, verfügt über wenig Vertrauen. Was hat der Staat zu bieten? Das Militär und einen gut funktionierenden Sicherheitsapparat.

Was können Sie mit dem Anwalts­team angesichts dieser Konstellation ausrichten?
Wir haben uns für eine klare und aktive Prozessführung entschieden, wir präsentieren Beweise, hinterfragen, was die Richter anordnen, und haben versucht, Gegendruck auszuüben.

Das Gericht hat eine Nebenklage der COPINH nicht zugelassen. Laut Prozessordnung hat die COPINH das Recht, eine Nebenklage anzustrengen, aber das Gericht hat das nicht akzeptiert und erklärt, dass der entsprechende Passus für Handelsgesellschaften, aber nicht für Organisationen der Zivilgesellschaft gelte.

Das ist meiner Meinung nach rechtlich kaum nachzuvollziehen, aber hat auch viel damit zu tun, dass Opfer vor Gericht selten als Nebenkläger auftreten, weil sie sich das meist nicht leisten können. De facto wird hier das Recht beschnitten.

Haben Sie trotz dieser Hürden die Hoffnung, dass der Prozess mehr bringt als die Verurteilung der beauftragten Killer?
Wir stehen ganz am Anfang, denn dies ist der erste Prozess gegen die acht mutmaßlichen Täter, die Berta Cáceres im Auftrag ermordeten. Danach kommt der Prozess gegen David Castillo, den Verwaltungsratsvorsitzenden des Unternehmens Desa, das hinter dem Staudammprojekt steht. Ein weiterer Prozess gegen weitere Verantwortliche der Desa ist noch anhängig, die Ermittlungen laufen. Zudem gibt es Ermittlungen gegen Regierungsbeamte, die die Aufgabe hatten, das Leben von Berta Cáceres zu schützen, ihrer Aufgabe aber nicht gerecht wurden. Obendrein wird gegen Polizeibeamte ermittelt, die Ermittlungen verschleppt und behindert haben, und gegen die Ministerien, die verantwortlich dafür sind, dass die Konzession ohne die vorherige Befragung der lokalen Bevölkerung vergeben wurde, was gegen die ILO-Konvention 169 verstößt.

Unsere Prozessstrategie ist darauf ausgerichtet, die Verantwortlichen zu benennen und sie vor Gericht zu bringen. In diesem ersten Prozess wird das Recht der Opfer auf Wahrheit beschnitten, da der Prozess allein auf die Tat am 2. März ausgerichtet ist, die Hintergründe und Motive des Mordes werden bewusst ignoriert. Unsere Aufgabe ist es, die Rechte der Opfer zu verteidigen und die Hoffnung aufrechtzuerhalten. Dazu tragen öffentliche Diskussion, Demonstrationen und Petitionen bei.

Das dürfte angesichts der Strukturen des Justizsystems aber alles andere als einfach sein.
Ja, denn wir haben es mit einem Obersten Gericht zu tun, dessen Mitglieder nominiert wurden inmitten grassierender Korruption. Da wurden Parlamentarier gekauft, da wurde ein Generalstaatsanwalt in einem irregulärem Verfahren ernannt. Das sind beides relevante Hindernisse für eine unabhängige Justiz, denn schließlich bestimmt der Oberste Gerichtshof die Richter, die diesen Fall verhandeln sollen. Das sorgt für Straflosigkeit.

Mitte November haben 32 Abgeordnete des Europaparlaments in einem Brief an Präsident Juan Orlando Hernández appelliert, für einen transparenten Prozess im Mordfall Berta Cáceres zu sorgen. Haben derartige Briefe einen Effekt?
Dieser Brief ist wichtig, denn er zeigt, dass die Regierung nicht so agieren kann, wie sie möchte. Wir brauchen derartige Unterstützung, Besuche von Parlamentariern, das Engagement von Botschaften, Briefe an die Verantwort­lichen, um den Mordprozess nicht mit der Verurteilung der acht Täter enden zu lassen.

Haben die internationale Aufmerksamkeit für den Mord und die Ermittlungen dazu geführt, dass die Regierung mittlerweile vor großen Infrastrukturvorhaben anders agiert, dass also die Bevölkerung vorher gefragt wird?
Es gibt ein anderes Vorgehen, aber das heißt leider nicht, dass die Rechte der Bevölkerung ernst genommen werden. Es findet nur ein Strategiewechsel statt: Es wird nun versucht, die betroffenen Gemeinden zu spalten, die Anführer zu korrumpieren. Aber es wird nicht akzeptiert, dass die betroffenen Bevölkerungsgruppen ein Recht auf Mitbestimmung haben, und im Zweifel wird dann auf Waffengewalt zurückgegriffen.
Soziale Konflikte in Honduras, aber auch in den Nachbarstaaten verschärfen sich, viele finden im

Zusammenhang mit Investitionen in die Infrastruktur, im Energiesektor oder im Bergbau statt. Fehlen internationale Regelungen für solche Projekte?
Eigentlich nicht, die Regelungen ex­istieren und die Zivilgesellschaft ist ­aktiv. Aber zwischen der politischen Führungsschicht und der Bevölkerung gibt es eine große Distanz. Das System hat sich verselbständigt, der öffentliche Sektor agiert immer weniger im Inter­esse der Bevölkerungsmehrheit, korrupte Führungsgruppen lenken die Institutionen – das ist nicht nur in Honduras der Fall.
Aus diesem Grund ist die Intervention internationaler Akteure extrem wichtig. Wir brauchen die Kritik von außen, denn die von innen wird ignoriert und unterdrückt.

Gleichwohl fließt nach wie vor Geld für Investitionsprojekte. Selbst das Staudammprojekt Agua Zarca ist nicht vom Tisch, oder?
Die Finanziers, die in aller Regel aus dem Ausland kommen, haben alle ­nötigen Informationen, halten aber an den Finanzierungszusagen fest, weil ihnen Gewinne winken. Da regiert die Logik des Marktes und in Honduras wird alles konzessioniert, hier ist alles käuflich zu erwerben für Spottpreise. Und die Justiz steht im Dienst dieses Systems.