Eine Werkschau der Filme von Herbert Achternbusch in Leipzig

Heimat, Hitler, Hofbräuhaus

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In der Verweigerung einer organisierenden Erzählweise wagt sich »Die Föhnforscher« (1985) sicherlich mit am weitesten vor. Ein knapp zweieinhalbstündiges, stilistisch wie stimmungsmäßig uneinheitliches Konglomerat zeigt ein verfremdetes Bayerns der achtziger Jahre, das sowohl von der Shoa, von atomarer

Bedrohung als auch in einem penetrant in die Länge gezogenen Sketch von einer Badehose erzählt. Erzählung ist jedoch im Grunde nicht der treffende Begriff, denn auch wenn Achternbuschs Filme immer wieder (tages-)politisch Relevantes in sich aufnehmen – beispielsweise die Aids-Krise in »Wohin?« (1988), sauren ­Regen in »Wanderkrebs« (1984), die Ära Kohl in »Neue Freiheit – Keine Jobs« (1998) –, gehen sie nie in diesen Themen auf, bewahren sich immer ihr Rätselhaftes und Uneinordenbares. »Dass das größte Menschheitsverbrechen in ›Die Föhnforscher‹ im Verbund mit völlig sinnfreien Episoden und subjektiv empfundener Alltäglichkeit vorkommt, ist Teil Achternbuschs widerständig disharmonischer Filmauffassung, die dem scheinhaften und auf Einfühlung setzenden Illusionspotential des Kinos den verzerrten Spiegel entgegenhält«, sagt Kurator Tilman Schumacher. Ein Film wie Roberto Benignis KZ-Tragikkomödie »La vita è bella« ist für Achternbusch letztlich nur eine Gemeinheit, wie er in seiner Rezension »Dumm-dümmer-Kino« von 1997 äußerte. Typisch für Achternbusch ist auch, dass er von vorfindlichem Material ausgeht und dieses umarbeitet. So wird in »Die Föhnforscher« aus dem bayerischen Ammersee der »Jammersee«, der die Asche der ermordeten Juden aufgenommen hat. In »Heilt Hitler!« wandelt der wiederauferstandene Wehrmachtsoldat Herbert (Achternbusch spielt in seinen Filmen meist die Hauptrolle und behält häufig seinen Vornamen bei) durch ein zeit­genössisches München samt uneingeweihter Passanten und hält es für das wiederaufgebaute Stalingrad, in dem er einst gefallen ist. Die Fiktion ragt hier in die Wirklichkeit hinein und entlarvt sie gleichzeitig.

All die genannten Titel wird es in der Werkschau zu sehen geben, die zudem versucht, in Doppelvorstellungen Verbindungen zwischen den Filmen aufzuspüren. Darüber hinaus enthält ein Begleitprogramm unter anderem den besagten Herzog-Film, aber auch die zeitgenössische Heimat-Reflexion »Zwei Herren im Anzug« von Josef Bierbichler, der von Achternbusch oft mit Rollen betraut wurde. Zur Leipziger Buchmesse 2019 warten die Kuratoren schließlich mit einem Hörspielabend auf, der Achternbuschs autobiographisch geprägtem »Weg« (1985) und einer Vorstellung der kürzlich erschienenen Essay-Anthologie zum künstle­rischen Gesamtwerk beinhaltet. Auch sonst kann man von einem kleinen Revival sprechen: Im Nürnberger Kunstbunker ist noch bis Anfang Dezember eine kleine Schau seiner bildenden Kunst zu sehen. Hoffentlich hält dieses neu entflammte In­teresse an Achternbuschs Schaffen an.

 

Die Werkschau läuft bis Mai 2019 im Luru-Kino in der Spinnerei in Leipzig