In den vergangenen Monaten ­haben sich zwei neue Balkanrouten etabliert

In der Push-Back-Zone

Kroatien fungiert als Türsteher der EU und geht mit äußerster Brutalität gegen Geflüchtete vor. Die EU schaut weg und Bosnien-Herzegowina ist mit der Lage überfordert.

Am Sonntag fielen die Temperaturen in Velika Kladuša unter null Grad. Für die rund 400 Menschen, die hier im nordwestlichen Zipfel Bosnien-Herzegowinas an der Grenze zu Kroatien ­gestrandet sind, ist das eine schlechte Nachricht. Viele von ihnen leben in unbeheizten Zelten im Schlamm und sind auf freiwillige Helfer und internationale Organisationen angewiesen. Doch die Versorgungslage ist schlecht. Es werden nicht alle satt. Weder der bosnische Staat noch die EU scheinen sich verantwortlich zu fühlen. Sobald es hier richtig kalt wird, droht eine humani­täre Katastrophe.

Hier, wo jahrhundertelang die Grenze zwischen dem christlichen Europa und dem Osmanischen Reich verlief, fordern die Geflüchteten Einlass in die Euro­päische Union und erhalten ihn nicht. Jeden Abend versuchen einzelne Gruppen über die Grenze zu gelangen, doch nur wenige schaffen es. Sie nennen es »das Spiel«, doch es ist bitterer Ernst. Einige haben blaue Flecken oder ge­brochene Gliedmaßen.

Die kroatische Grenzpolizei ist für ihre Brutalität bekannt. Oft werden Menschen bei den sogenannten Push-Backs die Nase oder Knochen gebrochen, Zähne ausgeschlagen und die Handys abgenommen. Als Push-Back bezeichnet man das Zurückdrängen von Geflüchteten ohne entsprechende Aufenthaltstitel für das Zielland in Grenznähe. Die Praxis ist in EU-Staaten illegal, denn es handelt sich um die Verletzung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung. Dieser untersagt die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Viele Bosnier in der Region waren selbst Kriegsflüchtlinge und zeigen sich solidarisch mit den Geflüchteten. Sie bringen ihnen Wasser und Essen.

Geflüchtete, die bei den Push-Backs zurückgeschickt wurden, berichten von Folter. Manche berichten auch, dass ihnen von der kroatischen Polizei ihr Geld abgenommen wurde. Diese Fälle von Polizeigewalt sind inzwischen hundertfach dokumentiert.

Viele vermuten, dass einige Polizisten auf kroatischer Seite selbst in das Schmugglergeschäft verwickelt sind und sich bestechen lassen. Anfang Ok­tober wurde sogar ein Fall bekannt, in dem ein kroatischer Polizist sich selbst als Schlepper betätigte. Er wurde auf ­einer Autobahnraststätte festgenommen, nachdem er 18 pakistanische Staatsbürger ins Land schmuggelte. Schlepperei wird in Kroatien mit bis zu acht Jahren Gefängnisstrafe ge­ahndet.

In den vergangenen Monaten haben sich zwei neue Balkanrouten etabliert. Beide beginnen in Griechenland. Eine führt dann über Mazedonien, Kosovo und Serbien, die andere über ­Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina bis nach Velika Kladuša. 21 000 Flüchtlinge haben die bosnischen Behörden in diesem Jahr bislang registriert. Die meisten kommen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und dem Iran. Derzeit befinden sich Schätzungen zufolge rund 5 000 Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina.

Und hier geht es für viele nicht weiter. Die Verzweiflung darüber, in der Sackgasse zu sitzen, entlud sich am 24. Oktober, als hunderte Menschen versuchten, die Grenze zu stürmen. Sie durchbrachen die Polizeiabsperrung in Velika Kladuša und gelangten zu einer Brücke an der Grenze. Eine zweite Polizeieinheit konnte sie am Grenzübertritt hindern. Zuvor hatte die Polizei schon an zwei anderen Grenzübergängen Hunderte Personen zurückgewiesen. Seit dieser Aktion, so berichten es Geflüchtete und Helfer, gehe die kroatische Polizei noch brutaler vor. Freiwillige Helfer gehen davon aus, dass zwei von drei aufgegriffene ­Geflüchtete bei den Push-Backs misshandelt und ­verprügelt werden. Die Gewalt sei seit Protesten im Oktober eskaliert.