In Pakistan toben Islamisten nach dem Freispruch für Asia Bibi, die 2010 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden war

Asia Bibis ungewisse Zukunft

Das Oberste Gericht Pakistans hat die Christin Asia Bibi vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen. Seither tobt ein islamistischer Mob in den Straßen der Großstädte und fordert ihren Tod.

Als die Richter des Obersten Gerichts am 31. Oktober die Katholikin Aasiya Noreen alias Asia Bibi vom Vorwurf der Blasphemie aus Mangel an Beweisen freisprachen, jubelten auch die liberalen Kräfte Pakistans. Neun Jahre hatte die nunmehr 29jährige Asia im Gefängnis gesessen, obwohl schon bei ihrer Verurteilung bekannt gewesen war, dass Zeugen, die sie beschuldigten, den Propheten beleidigt zu haben, mit Asias Familie einen Grundstücksstreit hatten.

Asia Bibi wurde im Jahr 2009 von einem untergeordneten Gericht im Punjab zum Tod durch Erhängen verurteilt. Sie hatte die unterstellte Prophetenbeleidigung auch noch abgestritten, als die Bewohner ihres Dorfes im Distrikt Sheikhupura die junge Christin mit Schlägen zu einem Geständnis zwingen wollten.
Am Tag des Freispruchs für Bibi strömten Zehntausende Islamisten auf die Straßen der Großstädte Pakistans, besetzten Hauptverkehrswege und drohten, die Hauptstadt Islamabad zu blockieren. Am 2. November erklärte Premierminister Imran Khan noch selbstbewusst, dass er den Islamisten nicht nachgeben werde, doch bereits ­einen Tag später knickte die Regierung ein. Asia Bibi wurde verboten, das Land zu verlassen, zudem sagte die Regierung Khan den Islamisten zu, eine Revision gegen das Urteil nicht zu behindern.
Die Furcht vor den Islamisten ist groß: Im Januar 2011 war der punjabische Gouverneur Salmaan Taseer von einem seiner Leibwächter ermordet worden, weil er sich für Asia Bibi eingesetzt hatte. Zwei Monate später wurde Shahbaz Bhatti, Minister für Minderheiten, erschossen, weil er das Blasphemiegesetz entschärfen wollte.

Die Demokraten können nun Vorladungen unter Strafandrohung ausstellen, Zeugen einbestellen und Dokumente einfordern.

Im November 2017 hatten ein paar Tausend Islamisten drei Wochen lang eine Hauptverkehrsstraße der Hauptstadt blockiert und einen Minister der Regierung der Blasphemie beschuldigt. Die Armee hatte sich geweigert, die Blockade aufzulösen. Zudem gab es Bilder von Armeeangehörigen, die Geld an die Fanatiker verteilten. So blieb der damaligen Regierung nichts anderes übrig, als die Forderung der Islamisten zu erfüllen.
Mittlerweile haben sich Regierungen mehrerer Länder angeboten, Asia Bibi aufzunehmen, darunter auch die deutsche. Der Anwalt von Bibi hat nach Morddrohungen das Land verlassen. Die Familie der Christin hält sich versteckt. Einer der Obersten Richter wurde nach Morddrohungen mit Herzproblemen in ein Krankenhaus eingeliefert.
Für Imran Khan kommen die Unruhen zur Unzeit. Pakistans Wirtschaft liegt am Boden, selbst China hat seine Investitionen stark zurückgefahren und eine sofortige Finanzspritze abgelehnt. Einzig Saudi-Arabien hat mit sechs Milliarden Dollar ausgeholfen, aber seit Jahrzehnten stärkt das Land mit Millionen Dollar die religiösen Extremisten in Pakistan, um seine rigide Auslegung des Islam zu verbreiten. Pakistans staatliches Bildungssystem ist in einem jämmerlichen Zustand – knapp ein Drittel der Kinder geht nicht zur Schule. Nur knapp die Hälfte der Erwachsenen kann lesen und schreiben. »Und selbst diese Zahlen sind geschönt, weil wir schon jemanden als alphabe­tisiert anerkennen, der seinen Namen schreiben kann«, sagte ein Beamter der Jungle World, der an einer entsprechenden Zählung teilgenommen hat.

Die pakistanische Armee benutzt die Islamisten im Land seit Jahren für ihre Destabilisierungspolitik im indischen Teil Kaschmirs und schleust dort Jihadisten ein, um die Unruhen anzuheizen – das gab selbst Pakistans ehemaliger Militärmachthaber Pervez Musharraf zu. In Afghanistan unterstützte die pakistanische Armee verschiedene Taliban-Gruppen, um mit ihrer Hilfe Einfluss im Nachbarland zu gewinnen. Doch wirklich unter Kontrolle hat die Armee die Islamisten schon lange nicht mehr. Sollte Asia Bibi ausreisen dürfen, könnten die Islamisten das Land mit Protesten und Selbstmordanschlägen überziehen, wie sie es bereits 2007 nach der Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad, in der sich bewaffnete Islamisten verschanzt hatten, getan haben. Lässt das Militär die Islamisten weiter gewähren, werden diese immer stärker. Dass sie in abesehbarer Zeit die Macht im Land übernehmen oder Pakistans Atomwaffen in die Hände bekommen, ist nicht zu befürchten. Aber sie sind in der Lage, das Land zu lähmen und unregierbar zu machen. Bereits jetzt kann die Regierung die ­Bevölkerung nicht mit genug Wasser, Strom und Nahrung versorgen.

Zwar konnten die extremen religiösen Parteien bei den Parlamentswahlen im Juli nur 15 von 342 Sitzen gewinnen, aber die Extremisten treten geeint auf. Bisher standen sich die Extremisten der unterschiedlichen sunnitischen Islamschulen – Deobandi und Barelvi – feindlich gegenüber, ein Konflikt den der pakistanische Geheimdienst förderte. Doch ihre seit 2011 bestehende gemeinsame Dachorganisation der Islamisten, das Difa-e-Pakistan Council, gewinnt stetig an Einfluss.

Imran Khan wollte mit Hilfe des sogenannten Vaters der Taliban, des 82jährigen Predigers Maulana Sami ul-Haq, Einfluss auf die Religiösen im Land gewinnen und die Religionsschulen reformieren. Doch am 2. November wurde Haq in Karatschi ermordet. Da für Teile der Armee und der Geheimdienste die Islamisten im Land von strategischer Wichtigkeit sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass sie hinter dem Mord stecken.

Festnahmen und Einschüchterungen von liberalen Kräften sind Alltag in Pakistan. Am 8. November stürmten Dutzende unbekannte Bewaffnete den Presseclub in Karachi, bedrohten Journalisten und durchwühlten die Büros. Dass in Pakistan seit 1990 knapp 120 Journalistinnen und Journalisten getötet wurden, zeigt, was mit jenen passiert, die sich nicht von Drohungen einschüchtern lassen.

Bislang hat sich die Armee in dem Konflikt mit den Islamisten bedeckt gehalten. Imran Khan dürfte versuchen, den Generälen den Ernst der Lage klarzumachen und die wichtigsten Armeeangehörigen auf seine Seite zu ziehen. Ob das gelingt, ist zweifelhaft.