Lisa Yashodhara Haller, Geschlechterforscherin, im Gespräch über staatliche Leistungen und die geschlechtliche Arbeitsteilung bei Paaren mit Kindern

»Schwangerschaft erscheint als Defizit der Frauen«

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Interview Von

Geben sich Eltern damit zufrieden?
Es kommt zu großen Konflikten in der Paarbeziehung. Wenn der Partner die einzige Verbindung nach außen ist, ist auch klar, dass er die Aggressionen abbekommt. Allerdings habe ich auch männliche Ohnmacht und Verzweiflung erlebt angesichts der Schwierigkeit, die sich aus dem Wagnis Elternschaft im Kapitalismus ergibt. Vereinbarkeitskonflikte werden zu Paarkonflikten und als solche werden sie in der Paarbeziehung verhandelt, und beraten von Sozialarbeiterinnen und Fallmanagern. Selbst wenn diesen klar ist, dass das Problem auf der Makroebene liegt, thematisieren sie das Problem auf der Mikroebene der Paarbeziehung. Zur Befriedung kommt es, wenn Eltern ein Arrangement mit den wirtschaftlichen Verhältnissen als eigene Wahl umdeuten. Die schwangerschaftsbedingte Arbeitsmarktdiskriminierung wird überwunden, indem sich die Mütter familienpolitische Leistungen aneignen und als Wohltat ­gegenüber den Zumutungen auf dem Arbeitsmarkt anführen: »Elternzeit, das gönn’ ich mir.«

Bekannt ist, dass solche Entscheidungen im Kapitalismus mit Altersarmut bestraft werden. Das nehmen die Mütter aber in Kauf, das Wohl des Kindes steht im Vordergrund, alles andere wird hintenangestellt. Auch die eigene ­finanzielle Absicherung, und das führt zur vieldiskutierten Altersarmut von Frauen.

In Ihrem Buch führen Sie aus, dass es einen grundlegenden Widerspruch zwischen wertförmiger Organisation von Arbeit und bestimmten Struktureigenheiten der Fürsorge gebe. Wie äußert sich dieser ­Widerspruch?
Viele Feministinnen haben lange vor mir diesen Widerspruch skandalisiert, ich habe das Phänomen lediglich sys­tematisiert: Erstens ist Fürsorgearbeit im Gegensatz zur Güterproduktion ­beziehungsförmig. Anders als in der Warenproduktion geht die oder der in der Fürsorge Tätige eine Beziehung zu einem anderen Subjekt ein. Außerdem ist Fürsorge zeit- und körpergebunden, sie lässt sich nicht in beliebig viele ­Arbeitsschritte zergliedern. Eine Effizienzsteigerung ist nicht möglich, weshalb die Mehrwertproduktion nur in engen Grenzen zu bewerkstelligen ist. Eine Stunde Kindesbetreuung bleibt eine Stunde Kindesbetreuung, egal wie »intensiv« ich die Zeit nutze. Dienstleistungen können immer dann verwertbar werden, wenn es Käufer gibt.
Es gibt in großen Städten durchaus Kinderhotels, wo Kinder von angestellten Pädagoginnen betreut werden und die Leiterin oder der Leiter den Profit kassiert. Diese Kinderhotels werden von Eltern aber nur im Notfall genutzt. Verallgemeinerbar ist das Modell nicht, weil es für die Eltern als Kunden zu teuer ist.

Kinderhotels wären also auch keine Lösung?
Nein. In der marxistischen Staatsableitungsdebatte wurde seit den Siebzigern analysiert, was der Staat alles tun muss, damit der Kapitalismus funktioniert. Allerdings nicht nur mit »deutscher Gründlichkeit«, sondern auch mit »androzentrischer Ignoranz«. Ich würde also sagen, dass das elementare Strukturproblem von Fürsorgearbeit und Wertform in der Staatsableitungsdebatte gar nicht behandelt wurde. Der Staat hält das System am Laufen, indem er von den wertförmigen Tätig­keiten und deren Entlohnung Steuern abschöpft und diese umverteilt, so dass Zeit zur Versorgung von abhängigen Personen, hier also Kindern, frei wird. Den grundlegenden Widerspruch löst er aber nicht, sondern delegiert ihn an die Paare, wo der Widerspruch mit Rückgriff auf das Geschlecht bearbeitet wird – gelöst wird er auch dort nicht. Das ist der Vermittlungszusammenhang zwischen Kapitalismus, Staat und Geschlecht. Obwohl es dem Kapi­talismus egal ist, welches Geschlecht die arbeitende Person hat, und auch staat­liche Leistungsansprüche heutzutage geschlechtslos sind, wird der Widerspruch auf Kosten der Frauen »gelöst«. Das würde sich auch nicht ändern, wenn man statt von Vater oder Mutter von Elternteil I und Elternteil II ­spräche, wie es derzeit diskutiert wird.

Sprachpolitik ist also nicht ausreichend, um die Geschlechterhierarchie aufzuheben?
Die Paare begründen ihre Arbeitsteilung größtenteils ökonomisch. Wie die Paar- und Geschlechterforschung, etwa von Christine Wimbauer, betont, hat Geld eine symbolische Bedeutung. Ich stimme dem zwar zu, aber wenn einkommensschwache Eltern ihre Arbeitsteilung mit den ökonomischen Gegebenheiten begründen, kann ich nicht sagen, das sei alles eine Frage der Symbolik. Wenn Paare zu Eltern werden und ob der Verantwortung verunsichert sind, greifen sie schnell auf Strukturen zurück und orientieren sich daran, wie es ­andere vor ihnen gemacht haben, einfach um Risiken zu minimieren. ­Geschlechtliche Strukturen bieten hier Orientierung.

Ich halte es für wenig zielführend, sich nur die Makroebene anzusehen, auf der Geschlecht sich ja gar nicht begründen lässt. Noch halte ich es für ausreichend, auf der Mikroebene zu verbleiben, weil dort nicht begründet werden kann, warum die Subjekte so handeln. Die Zweiteilung der Tätigkeitsbereiche ergibt nur vor dem Hintergrund Sinn, dass – um Roswitha ­Scholz zu variieren – sich die Wertform vom Leben abspaltet. Geschlecht kon­stituiert sich über Tätigkeitsbereiche, durch die Auseinandersetzung mit ­unterschiedlichen Gegenständen. In Deutschland konstituiert sich Weiblichkeit über die Fürsorge, Männlichkeit über die Wertform.

Subjekte ­haben also im strengen Sinn kein Geschlecht, noch gehen sie in diesem auf. Sie eignen es sich in Interaktionen vor dem Hintergrund von Strukturen an. Historisch betrachtet verändert sich Geschlecht mit den Steuerungsstrategien.

Statt nun aber Frauen darin zu coachen, die Fürsorge nicht mehr wichtig zu nehmen, auszugliedern oder effizienter zu gestalten, um leistungsfähiger zu werden, sollte es darum gehen, Männer in einem fürsorglichen Umgang mit dem sozialen Umfeld, also Freunden, Partnerinnen, Kindern, zu stärken.