Ein Jahr nach dem Referendum in Katalonien

Schwierige Trennung

Seite 2 – Kritik an der juristischen Verfolgung  
Reportage Von

Neun katalanische Politiker und Aktivisten sind seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft, angeklagt unter anderem wegen Rebellion und Aufruhr. Sieben Politiker sind im Exil. Zudem wird gegen Hunderte Bürger und Kommunalpolitiker im Zusammenhang mit der Abhaltung des illegalen Referendums ermittelt. Allerdings laufen auch ­Ermittlungen gegen einige spanische Polizisten wegen ihrer Prügelattacken gegen Wählerinnen und Wähler am 1. Oktober 2017.

Als Jurist empfindet Lopez die Gerichtsverfahren gegen die katalanischen Politiker gerechtfertigt, soweit es um die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs, Ungehorsams und der Veruntreuung geht. Allerdings hält er den Vorwurf der Rebellion und des Aufruhrs für überzogen. »Und die Unter­suchungshaft ist völlig unverhältnis­mäßig«, sagt er.

Meritxell von den CDR sieht mögliche Verurteilungen mit Besorgnis. »Auf solche Delikte stehen viele Jahre Gefängnis. Das würde zu massiven ­Mobilisierungen führen«, sagt sie. Für Sasha ist die juristische Verfolgung ­politisch motiviert: »Ich habe keine gewaltsame Rebellion gesehen. Das ­Interessanteste an dieser Bewegung scheint mir gerade die gewaltfreie ­Haltung als zentraler Wert.« Wie Meritxell sorgt ihn, dass es zu Verurteilungen kommen könnte. »Für eine Verurteilung, besonders wenn sie hart ist, müssen die Richter ungeheuer fanatisch oder völlig dumm sein oder versteckte Interessen haben. Das wäre, als würde man literweise Benzin ins Feuer gießen«, meint er.

»Es schmerzt mich als überzeugten Europäer, dass die EU die Menschenrechte der zu Unrecht inhaftierten Aktivisten und unsere demokratischen Rechte nicht verteidigt«, sagt der Ingenieur Joan. Viele Katalaninnen und ­Katalanen sind von den Reaktionen der EU enttäuscht. Für Clara fing dies bereits beim Umgang mit den Flüchtlingen an, die passive Haltung ­angesichts der Repression in Katalonien habe sie noch mehr überzeugt, dass sie diese EU nicht wolle: »Das ist schade, denn ich war stets stolz darauf, Europäerin zu sein.« Sasha sagt, das Referendum habe dazu ­gedient, der Welt zu zeigen, dass Europa allein den Status Quo der Nationalstaaten und wirtschaftliche Inter­essen verteidige. Er hofft, dass die katalanische Bewegung eine Entwicklung hin »zu einem regionalisierten Europa« anstoßen könne. »Die Koordinierungsorgane wären auf europäischer Ebene und der Rest der Macht näher an den Menschen«, sagt er. Diese Hoffnung auf ein »Europa der Regionen« teilen allerdings auch zahlreiche Rechtspopulisten.
Mögliche Annäherung

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) hat mit seiner Minderheitsregierung erste Angebote gemacht, wie ein Referendum über mehr Selbstverwaltung aussehen könnte, wofür er aber sofort von den rechten Parteien Ciudadanos und Partido Popular (PP) kritisiert wurde. Die katalanische ­Regierung fordert die Freilassung der inhaftierten Politiker und Aktivisten als Basis für Verhandlungen und einen Vorschlag für ein vereinbartes Auto­nomiereferendum. Die spanische Regierung lehnte dies ab, in spanischen ­Regierungskreisen wird allerdings von »Begnadigung« gesprochen. Dennoch scheinen diese Gesten viele Katalaninnen und Katalanen nicht zu überzeugen. Denn auch Sánchez unterstützte die Zwangsverwaltung.

Joan ist überzeugt, dass es keinen großen Unterschied zwischen der ­Regierung des PSOE und des PP gibt. Das klarste Beispiel sei, dass die von den Sozialisten ernannte Generalstaatsanwältin nicht zugegeben habe, dass die katalanischen Politiker keine Gewalt angewandt hätten. Lopez begrüßt hingegen die neue Regierung. Zwar habe sich die Situation in Kata­lonien nicht gebessert, aber zumindest habe man gelernt, dass einseitige Maßnahmen zu keinem guten Ergebnis führten. »Politik muss Dialog und Vereinbarung in einem demokratischen ­Loyalitäts- und Willensraum sein«, sagt er.

Doch wie soll es nun weitergehen? Joan sieht eine demokratische Lösung im Referendum, weil 80 Prozent der Katalaninnen und Katalanen weiterhin legal über die Unabhängigkeit abstimmen wollen. »Es kann nicht sein, dass die Unionisten das Referendum blockieren, weil sie Angst vor der Veränderung haben«, sagt er. Lopez glaubt, die beste Lösung des katalanisch-spanischen Konflikts sei ein föderales Modell für Spanien: »Es ist wichtig, der katalanischen Frage einen neuen Ansatz zu geben, um zu vermeiden, dass die Trennung dauerhaft ist.«

Sasha hofft auf eine sofortige Freilassung der Inhaftierten, um die Situation zu entspannen, und eine ernsthafte Debatte, um zu einer Entscheidung zu kommen, mit der die Menschen leben können. Aber er ist nicht sehr optimistisch: »Ehrlich gesagt finde ich die Vorstellung eines republikanischen Kata­loniens jedes Mal attraktiver. Da stimme ich der CUP (das linksseparatistische Bündnis Candidatura d’Unitat Popular, Anm. d. Red.) zu, wenn sie sagt, Kata­lanisch sei jeder, der es sein will.«

 

*Name geändert