Die Forderung nach einem Kopftuchverbot ist gut gemeint, weist aber in die falsche Richtung

Manische Fixierung

Das Kopftuch ist ein Symbol des politischen Islam. Aber was wäre mit einem Verbot gewonnen?
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Jüngst am Tegeler See in Berlin: Zwei Burkini tragende Mädchen, sieben oder acht Jahre alt, packen sich einen Jungen und tauchen ihn unter. Mit mir beobachtet die Szene ein Kollege, mit dem ich im Juli lange Diskussionen über Burkinis geführt habe. Damals zog Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) einen Shitstorm auf sich, weil sie es für vertretbar hielt, dass eine Schule einen Satz Burkinis für die muslimischen Schülerinnen kaufe.

Er fand, das ginge gar nicht. Ich wandte ein, dass wir nicht wüssten, warum die Schule das getan hatte. Darüber habe ich auch später nie etwas erfahren. Befremdlich, wie viele Kommentatoren fröhlich drauflos wetterten, ohne überhaupt zu wissen, was vor­gefallen war.

Hier am See sagt der Kollege nun: »Jedenfalls haben die Spaß.« Er kommt nicht aus Berlin und nein, so habe er sich das nicht vorgestellt: dort die Burkinis, 20 Meter weiter FKK. Wir grinsen beide über eine Frau Mitte 20, die in T-Shirt, Leggins und Badekappe auf ­einer Luftmatratze mit ihrem Freund schäkert. Das soll wohl auch ein Burkini sein, dient aber offenbar als Feigenblatt, um in aller ­Öffentlichkeit mit dem Freund zu kuscheln. »Wenn das so ist, nee, da kann man eigentlich nichts dagegen haben«, sagt der Kollege.

In vielen Ländern Europas und auch auf der anderen Seite des Mittelmeers wird über Burkini und Kopftuch gestritten. Im Sommer 2016 untersagten französische Küstengemeinden Burkinis am Strand. Doch das Oberste Verwaltungsgericht hob die Verbote auf, weil diese eine »ernsthafte und offensichtlich ungesetzmäßige Verletzung fundamentaler Freiheitsrechte« darstellten. Im Königreich Marokko gelten Freiheiten nicht so viel. Dort sind Burkinis in Touristenorten verboten. Auch im Libanon wurde eine Burkiniträgerin des Strandes verwiesen. In Italien, Österreich und Portugal erging es Schwimmbadbesucherinnen ebenso.

In Deutschland kämpft man derweil gegen das Kopftuch. Es soll Mädchen unter 18 Jahren verboten werden. Dafür sammelt die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes Unterschriften. Viele prominente Islamkritikerinnen haben unterschrieben. Zuletzt schloss sich die baden-württembergische SPD-Vorsitzende Leni Breymaier dem Aufruf an. Damit befindet sie sich in einem illustren Kreis intelligenter und gut informierter Menschen.

Die Befürworter von Verboten haben recht: Kopftuch und Burkini sind die Parteifähnchen des politischen Islam.

Wenn nun immer mehr Mädchen auch an Grundschulen ein Kopftuch tragen und immer mehr Burkinis an Stränden auftauchen, dann ist das durchaus als islamistische Kampfansage zu verstehen. Seit den achtziger Jahren verfolgen die Islamisten die Strategie, durch die Verbreitung des Kopftuchs zu zeigen, wie wirkmächtig ihre Ideologie ist, wie viele Menschen sie von ihrer Auslegung des Islam überzeugen konnten.

Der Angriff der Islamisten gilt nicht dem Haar, sondern der Freiheit. Da scheint es doch einigermaßen absurd, diesen Angriff mit der Einschränkung von Freiheiten abwehren zu wollen. Und es ist eine ­erhebliche Einschränkung der Freiheit, wenn eine 16jährige auf der Straße nicht mehr tragen darf, was sie will.

Die Verbotsbefürworterinnen haben auch recht, wenn sie sagen, das Kopftuch bei kleinen Mädchen sei eine Frühsexualisierung. Der islamistischen Lehre zufolge kann sich der Mann nicht beherrschen, wenn er Frauenhaar sieht. Die in diesem Sinne nackte Frau ist selbst schuld, wenn sie vergewaltigt wird. So formulieren es Islamisten von Teheran bis Rabat. Wenn nun Sechsjährige ein Kopftuch tragen sollen, heißt das nichts anderes, als dass auch ihr Haar aus Sicht der Islamisten schon Männer provoziert und sie dafür die Verantwortung tragen. Das ist zweifellos eine perverse Sicht.

Allerdings wäre ein Verbot von Kopftüchern im öffentlichen Raum in Deutschland genauso wenig verfassungskonform wie in Frankreich. Wohl deshalb haben andere Politikerinnen, auch solche, die man als Islamkritikerinnen kennt, nicht unterschrieben. Schon allein ein allgemeines und abstraktes Gesetz zu formulieren, dürfte kaum gelingen. Soll Minderjährigen das Tragen religiöser Symbole verboten werden? Darf dann der Junge auf dem Weg zu seiner Bar Mizwa keine Kippa mehr aufsetzen? Oder soll man das Kleidungsstück allgemein beschreiben wie es Österreich im »Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz« mit der Burka getan hat? Müsste man sich also im Winter die Ohren abfrieren?

Es stellt sich die Frage, was denn überhaupt erreicht werden soll. Das Kopftuch tut niemandem etwas – und meist ist auch die Trägerin völlig harmlos, ja oft nicht im Geringsten islamistisch. Denn die Islamisten haben es in den vergangenen 30 Jahren geschafft, den Frauen weiszumachen, ihr Parteifähnchen zu tragen, sei religiöse Pflicht.

Ihr Angriff gilt aber nicht dem Haar, sondern der Freiheit. Da scheint es doch einigermaßen absurd, diesen Angriff mit der Einschränkung von Freiheiten abwehren zu wollen. Und es ist eine ­erhebliche Einschränkung der Freiheit, wenn eine 16jährige auf der Straße nicht mehr tragen darf, was sie will. Will man auch Rock- und Haarlängen vorschreiben oder Dreadlocks und Piercings verbieten?

Den Feind im Blick wägt auch kaum jemand mehr Konsequenzen ab. Würde Minderjährigen das Kopftuch verboten, müssten junge Frauen auf der Straße kontrolliert werden, weil man nicht sehen kann, ob sie 20 oder 17 sind. Wollen wir, dass Mädchen aus orthodox-islamischen Familien nach der neunten Klasse aus der Schule genommen werden, weil sie dort kein Kopftuch tragen dürfen? Was soll dagegen getan werden, wenn Eltern ihre Töchter krankschreiben, damit sie nicht im Badeanzug schwimmen müssen? Der schulische Schwimmunterricht dauert nur ein Jahr, da bleibt den Lehrerinnen kaum Interventionsspielraum.

Zweifellos ist es notwendig, sich dem islamistischen Vormarsch entgegenzustellen. Bekleidungsvorschriften in Grundschulen, die Pädagogik und Schulfrieden dienen, können angemessen sein. Aber die manische Fixierung auf dieses inzwischen völlig uneindeutige Symbol lässt die eigentlichen Fragen unbeachtet. Es braucht Hilfe direkt in der Schule für Mädchen, denen das Kopftuch aufgezwungen wird. Pädagogisches Material zum Islam darf keine orthodoxen Auslegungen enthalten – das ist aber heutzutage häufig der Fall.

Es muss klar gemacht werden, was das Kopftuch bedeutet. Aber in seinem Verbot ein Allheilmittel zu sehen, ist so, als glaubte man, die Nazis verschwänden, wenn man Springerstiefel verbietet.