Small Talk mit Bernd Drücke über eine Kampagne der AfD gegen die anarchistische Monatszeitschrift »Graswurzelrevolution«

»Nationalsozialistische Ansichten aufgezeigt«

Die »Graswurzelrevolution« erhält zurzeit viel Aufmerksamkeit, denn nicht nur die AfD betreibt eine Kampagne gegen die anarchistische Monatszeitschrift. Bernd Drücke, seit 20 Jahren Redakteur der Graswurzelrevolution, hat mit der Jungle World gesprochen.
Small Talk Von

Derzeit läuft eine Kampagne der AfD und mehrerer rechts­ex­tremer Medien gegen die »Graswurzelrevolution« und den ­Autor Andreas Kemper. Was ist vorgefallen?
Wir haben in der Septemberausgabe der Graswurzelrevolution unter dem Titel »Björn Höckes faschistischer Fluss. Der völkische Machiavellismus des AfD-Politikers« einen Artikel des Soziologen Andreas Kemper veröffentlicht. Der Autor hat Höckes neues Buch analysiert und aufgezeigt, dass Höcke nationalsozialistische Ansichten vertritt. Der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer hat in einer auch von den »Tagesthemen« gezeigten Pressekonferenz eine Passage aus diesem Text zitiert und sich mit Bezug auf Kempers Argumente für eine Beobachtung der AfD ausgesprochen. AfD- und Nazikreise haben daraufhin auf verschiedenen Websites eine Kampagne gegen Andreas Kemper und das »linke Schmierblatt« Graswurzelrevolution losgetreten.

Besonders die AfD Thüringen hat gegen unsere Zeitschrift gewettert. Mittlerweile lanciert auch der Bundesverband der AfD die Kampagne auf seiner Website. Die Partei fordert zudem Kramers Rücktritt. Auf der Web­site der Bundes-AfD gibt es Leserkommentare wie: »Wartet es nur ab. Wenn die AfD an die Macht kommt, werden die alle wie die Kakerlaken kriechen. Und dann bitte nicht aufheben, sondern zertreten.« Auch Bild hat sich die Story nicht entgehen lassen.

Mit welchem Tenor berichtet Bild?
Die Zeitung hat sich eines ähnlichen Tons bedient: Von der »linksextremen Anarchopostille« ist bei ihr die Rede, die der thüringische Verfassungsschutzpräsident zitiert habe.

Beschränkt sich die Kampagne auf den medialen Bereich?
Andreas Kemper hat dieser Tage zu Hause einen Anruf erhalten, die Person am anderen Ende der Leitung hat »Heil Hitler, du Schwein« gerufen und wieder aufgelegt. Bei uns in der Redaktion sind auch einige Hassbotschaften eingegangen. Ich sehe die gesamte Aufmerksamkeit, die wir gerade erhalten, mit gemischten Gefühlen. Ich hoffe, dass möglichst viele Leute unsere »linksextreme Anarchopostille« abonnieren. Auf der anderen Seite hat diese Lawine von Hassbotschaften auch etwas Bedrohliches.

Was halten Sie davon, dass sich ein hoher Verfassungsschützer auf die »Graswurzelrevolution« beruft?
Es ist erfreulich, dass ein sozialdemokratischer Verfassungsschützer auf eine seriöse Quelle wie die Graswurzelrevolution zurückgreift. Andreas Kemper ist meines Wissens der erste Autor, der sich intensiv mit Höckes neuem Buch beschäftigt hat. Da ist es naheliegend, dass Kramer auf diesen gut recherchierten Artikel Bezug genommen hat. Seine eigenen Leute haben sich ja offenbar noch nicht mit dem Buch beschäftigt.

Wie stand der Verfassungsschutz bisher zu Ihrer Zeitschrift?
Es gibt eine Broschüre mit dem Titel »Extremistische Bestrebungen im Internet« vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Auf der Titelseite wird rechts ein Bildschirm gezeigt, auf dem die Graswurzelrevolution zu sehen ist. Links ist eine Naziseite mit Hakenkreuzfahne zu sehen – eine wirklich sehr plumpe Gleichsetzung von Nazis und gewaltfreien Anarchisten. Die Extremismusthese, derer sich die Verfassungsschutzämter seit Jahren bedienen, ist ein Skandal. Ein Skandal ist auch, dass unsere Monatszeitung, die in der Tradi­tion von Martin Luther King und Mahatma Gandhi steht und für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft eintritt, seit Jahrzehnten vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Dazu sollte sich Herr Kramer vielleicht auch noch äußern. Am allerbesten wäre es jedoch ohnehin, den Verfassungsschutz aufzulösen.