თემა - Bei der georgischen »Techno-Revolte« geht es um LGBT-Rechte, Feminismus und die repressive Drogenpolitik

Tanzen gegen die Reaktion

Seite 2 – Seit 2013 hat sich etwas getan

Giorgi Kikonischwili, schwuler Aktivist und Organisator der queeren Party-Reihe »Horoom Nights«, glaubt, dass der Polizeiüberfall auf das Bassiani und auch die Vorkommnisse im Mai 2013 für die Bewegung von Vorteil ­waren: »Damit sind wir präsent geworden, die Bilder gingen um die ganze Welt. Es wurde eine Debatte über die Rechte von LGBT und eine progressi­vere Drogenpolitik in Gang gesetzt. Es klingt verrückt, aber im Grunde konnte uns nichts Besseres passieren.«

Die Aktivisten und Aktivistinnen der im Ausland oft als »Rave Revolution« gefeierten Proteste betonen, dass es um mehr als die Forderungen geht, in Ruhe feiern und seine sexuelle Orientierung ausleben zu können. Sie wollen auch eine moderne, gerade für Frauen und LGBT lebenswertere Gesellschaft erkämpfen.

Tatsächlich hat sich seit der klerikal-faschistischen Attacke 2013 auf die LGBT-Demonstration in der georgischen Gesellschaft etwas getan. 2014 wurden, nicht zuletzt auf internationalen Druck, Antidiskriminierungsgesetze erlassen, und auch in Umfragen zeigt sich eine Verbesserung. Die offen bekundete Ablehnung von LGBT-Personen nimmt ab. Ein Grund dafür könnte ­allerdings sein, dass es vielen als staatsbürgerliche Pflicht gilt, sich gemäßigt zu äußern. »Es verlassen immer noch jede Woche ein bis zwei queere Personen das Land, weil sie mit ihrer sexuellen Orientierung hier nicht leben können«, berichtet Berianidze. Die diesjährige IDAHOT-Demonstration wurde wegen Drohungen rechter Gruppen abgesagt. Für Kikonischwili sind die »Horoom Nights« daher auch ein politisches Projekt, das der Vernetzung und dem Aufbau einer community dienen soll. Der Eintritt ist frei, und bisweilen wird gar der Dark Room zweckentfremdet, um über Politik zu diskutieren. Als safe space im Kaukasus ziehen die »Horoom Nights« schwule Gäste aus Aserbaidschan, Iran und Russland an. Es gibt aber auch Kritik, unter anderem an der restriktiven Einlasspolitik der »Horoom Nights«, die nur offensichtlich queeren Personen Zutritt gewährt: »So kommen wir aus unserer Blase nicht heraus« kritisiert der Queer-Aktivist und Fotograf Lasha Tsertsvadze.

Lika Jalagania, Anwältin der linken NGO »Human Rights Education and Monitoring Center«, hat darüber hinaus große Zweifel bezüglich der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung: »Das Bassiani gaukelt der LGBT-Community einen Hauch von heiler Welt vor. Gesellschaftspolitisch hat der Club weniger Einfluss, als westliche Medien gerne glauben wollen. Mit der Lebensrealität der meisten Georgier und Georgierinnen hat das nicht viel zu tun.«

Welche Bedeutung kann eine überwiegend von Angehörigen der kleinen urbanen Mittelschicht getragene Bewegung in einem Land haben, in dem Armut und schlechte Gesundheitsversorgung existentielle Probleme für die Mehrheit der Bevölkerung darstellen? Die Aktivisten und Aktivistinnen der im Ausland oft als »Rave Revolution« gefeierten Proteste betonen, dass es um mehr als die Forderungen geht, in Ruhe feiern und seine sexuelle Orientierung ausleben zu können. Sie wollen auch eine moderne, gerade für Frauen und LGBT lebenswertere Gesellschaft erkämpfen. »Wenn wir diesen Kampf verlieren, verlieren wir alles«, sagt ­Kikonischwili.

Bisher haben die Proteste vom Mai keine Dynamik entfaltet, und für die Emanzipation reichen Raves vor dem Parlamentsgebäude nicht aus, wie auch Berianidze betont: »Solange die reaktionäre orthodoxe Kirche mit ­Abstand die höchste Autorität darstellt, wird sich gesamtgesellschaftlich nichts ändern.«

Wegen der prekären wirtschaftlichen Lage sind die meisten Frauen finan­ziell von ihren Ehemännern abhängig, ebenso queere Jugendliche von ihren Eltern; es gibt keine Strukturen, die diese auffangen können, wenn sie sich aus dem Familienumfeld lösen wollen. Bisher aber ist die soziale Frage in der Bewegung nicht von großer Bedeutung, und dass die Clubkultur und der queere Aktivismus tatsächlich revolutionäres Potential entwickeln können, glauben selbst daran Beteiligte angesichts der gesellschaftlichen Gegenkräfte nicht. Die queere Clubszene bietet jedoch in einer von autoritären Verhältnissen geprägten Region jungen Menschen weit über die Grenzen Georgiens hinaus persönliche Freiheit. Wenigstens für eine Nacht.