უცხოეთი - Die Bundesregierung will Georgien zum sicheren Herkunftsland erklären

Ein unsicheres Drittland

Die Bundesregierung will Georgien zum sicheren Herkunftsland erklären, weil die meisten Asylanträge aus dem Land ohnehin abgelehnt werden. Mannigfaltige Gründe für eine Flucht aus Georgien gibt es dennoch.

Für den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde in Tiflis dick ­aufgetragen. An den Masten der Hauptstadt hing die deutsche Flagge neben der georgischen. Die Gesprächsthemen bei ihrem Besuch am 23. August waren die wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Konflikt mit Russland und die deutsche Flüchtlingspolitik.

»Ich befürworte es, dass Georgien ­sicheres Herkunftsland ist«, sagte die Kanzlerin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem georgischen Ministerpräsidenten Mamuka Bachta­dse. Er versprach, daran zu arbeiten, die Anzahl der Asylbewerber aus Georgien zukünftig zu senken. Die EU droht, ansonsten die im März 2017 in Kraft ­getretene Visaliberalisierung für Georgien wieder aufzuheben. Bachtadse ­betonte, es gebe keinen Grund, aus Georgien zu fliehen.

Jaba Kintsuraschwili ist HIV-positiv. Die medizinische Versorgung in Georgien ist deutlich schlechter als in Deutschland.

Levan Berianidzé sieht das anders. Er steht mit seinem Freund auf der Terrasse einer Bar im Zentrum der Hauptstadt und zündet sich eine Zigarette an. Er hat lange, leicht gelockte Haare und trägt Shorts, wenn das Wetter es zulässt. Sein Freund trägt einen Verband um die Nase. »Keine Sorge, es ist wegen einer Operation. Dieses Mal wurden wir nicht verprügelt«, scherzt Berianidzé.
Er leitet die NGO Equality Movement, die sich für die LGBTI-Rechte in Georgien einsetzt, und war bereits mehrfach Opfer homo- und transfeindlicher ­Angriffe. Im August 2017 griff er ein, als in der Küstenstadt Batumi mehrere Personen eine Transfrau verprügelten, während Polizisten dabei zusahen. Statt zu helfen, verprügelten diese Berianidzé und seine Begleitung und nahmen ihn anschließend mit aufs Revier: »Die Polizisten haben uns als Päderasten beschimpft und gesagt, dass es nicht ihre Aufgabe sei, Abschaum wie uns zu schützen«, sagt er der Jungle World.

Berianidzé holt sein Smartphone ­heraus und zeigt ein Foto, das nach dem Angriff von ihm gemacht wurde: Sein Gesicht ist darauf lädiert, sein weißes T-Shirt voller Blutflecken. Mit seinem Blick und den langen Haaren ähnelt er dem leidenden Jesus Christus auf einer georgisch-orthodoxen Ikone.

Er drückt seine zweite Zigarette aus und sagt: »Mir ergeht es noch viel ­besser als den meisten LGBTI in Georgien. Ich kann in Tiflis offen schwul ­leben und verdiene ganz gut. Den meisten geht es viel schlechter.«

Berianidzé bekommt wöchentlich ein bis zwei Anfragen von Menschen, die einen Asylantrag in der EU stellen. Er schickt ihnen dann allgemeine Informationen zur Lage in Georgien oder Bestätigungen, dass die Personen ­Beratungen seiner NGO in Anspruch genommen haben, damit diese »be­weisen« können, dass sie lesbisch oder schwul sind.

Doch meistens helfen die Dokumente nicht, denn Georgien hat 2014 ein ­Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet, das auch die Rechte von LGBTI-­Personen schützen soll. »Es ist gut, dass es das Gesetz gibt«, sagt Berianidzé, »es wäre aber noch besser, wenn man es auch umsetzen würde.«

 

Antidiskriminierung per Gesetz

Jaba Kintsuraschwili kennt dieses Gesetz erst, seit sein Asylantrag unter Berufung auf dieses abgelehnt wurde. Der 24jährige trägt Glatze, einen Dreitagebart und hat eine Pyramide auf den Hals tätowiert. Er hat sich angewöhnt zu flüstern, wenn er darüber spricht, wie er als junger Schwuler in einem Dorf in der Nähe von Kutaissi aufwuchs. »Alleine meine Ohrringe und meine engen Hosen haben gereicht, allen das Recht zu geben, mich fertigzumachen.«

Mit 18 ging er nach Tiflis und hoffte, es würde dort besser werden. Doch auch dort wurde er bei der Arbeit und an der Universität beschimpft. Von ­Kollegen und Kommilitonen, von Chefs und Dozenten. Er wechselte seine Jobs, hatte irgendwann kein Geld mehr für sein Studium. Wenn er von seinen ­Erfahrungen berichtet, kommen ihm die Tränen. »Ich kann nicht in mein Dorf zurückziehen. Ich habe Angst davor, was sie dort mit mir machen würden.«

Im Januar ging er mit seinem Freund nach Dresden und stellte dort einen Asylantrag. Ein Verein half ihm dabei, eine Wohnung zu finden, damit er nicht in einer Sammelunterkunft wohnen musste: »Das war mir wichtig, weil ich gehört habe, dass es in den Unterkünften sehr homophob zugeht.«

Kintsuraschwilis Antrag wurde nach zwei Monaten abgelehnt. Auch eine Klage dagegen scheiterte. Er ist seit Juli wieder in Tiflis und macht sich Sorgen um seine Gesundheit, denn er ist HIV-positiv. Die medizinische Versorgung in Georgien ist deutlich schlechter als in Deutschland. Noch hat er antivirale Medikamente übrig, die er in Deutschland auf Vorrat erhalten hat, doch bald seien diese aufgebraucht. »Und von den Medikamenten, die ich hier be­komme, fühle ich mich immer schlecht und benommen.«

Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Asylbewerber aus Georgien ihre sexuelle Identität oder Orientierung als Fluchtgrund angeben. Es scheint sich aber um eine relevante Gruppe zu handeln. ­Zwischen Januar und Juli 2018 wurden in Deutschland insgesamt 2 625 Asyl­anträge aus Georgien gestellt. Das sind 2,6 Prozent aller Erstanträge. Damit ­befindet sich Georgien derzeit auf Rang neun der Staaten, aus denen die meisten Asylsuchenden in Deutschland ­einen Antrag stellen. Die Tendenz ist sinkend, denn die Anerkennungsquote lag im Jahr 2017 bei 0,6 Prozent.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Georgien und die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und ­Marokko zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Noch scheitert diese Einstufung an Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung im Bundesrat. Oft liest man, die Zahl der Asylanträge aus Georgien sei wegen der Visaliberalisierung für Georgier im März 2017 rapide angestiegen. Aus den Daten geht das aber nicht hervor. Die Gesamtzahl der Anträge aus Georgien lag 2017 sogar unter der aus dem Vorjahr. Abschiebungen aus Deutschland nach Georgien sind hin­gegen keine Seltenheit.

 

Abschiebung aus Sachsen


Hoch oben am Stadtrand von Tiflis steht ein schönes Haus. Am Eingang eine ­Bäckerei, dahinter befindet sich ein großer Hof und Rebstöcke, von denen Trauben hängen. Die 34jährige Nino Gwindadse und der 47jährige Soso Scheklaschwili schenken Wein ein, denn sie selbst gemacht haben.

In dem Haus leben insgesamt zwölf Personen in vier Zimmern. Darunter die fünf Kinder des Paares, von denen die beiden jüngsten, Alexander und Anamaria, vor drei Jahren in Deutschland geboren wurden. Im September 2017 wurde die Familie trotzdem aus dem sächsischen Borna abgeschoben, allerdings zunächst ohne die Mutter.

»Ich hatte Panik und bin deswegen aus dem zweiten Stock gesprungen und dann abgehauen«, erzählt Gwindadse. Damit wollte sie die Abschiebung verhindern, doch die Polizei schob den ­Vater und die Kinder ohne die Mutter ab. Laut der zuständigen Landesdirek­tion sei das zulässig, weil die Familie »die Trennung durch ihr Verhalten selbst verursacht« habe. »Sie haben mich nicht nur von meiner Frau ­getrennt, sondern uns auch noch im Schlafanzug abgeschoben«, sagt Soso Scheklaschwili.

Der elfjährige Sohn Nikolos leidet unter Epilepsie, eine komplizierte Entwicklungsstörung, er sitzt im Rollstuhl. Gegen seine täglichen Anfälle benötigt er Medikamente, welche die ­Familie in Georgien nicht bekommt. Trotzdem hat das BAMF die ärztliche Versorgung in Georgien als gegeben eingeschätzt.

Nikolos verbringt den ganzen Tag im Haus und im Hof. Eine Schule kann er nicht besuchen, weil seine Eltern als Selbständige kein Anrecht auf einen Platz haben. Sie gehören zu den 57 Prozent der georgischen Beschäftigten, die offiziell selbständig gemeldet sind. Für die meisten von ihnen bedeutet das einen knallharten Kampf ums Überleben. Und keinerlei Inklusion oder Unterstützung für Kinder mit Behinderung.