Die Debatte um die Sterbehilfe

Nachhelfen im Sterbegeschäft

Den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen oder Sterbehilfe zu leisten, ist auch eine juristische Frage. Zwei Verfahren könnten die Sterbehilfe sehr bald wieder zum Politikum machen.

Zwei vor deutschen Gerichten laufende Verfahren haben das Potential, neue Kontroversen um das Thema Sterbehilfe anzufachen.

Mit einer gewissen Spannung wird vor allem erwartet, wie der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts über den neuen Paragraphen 217 Strafgesetzbuch (StGB) entscheidet. Diese im Dezember 2015 in Kraft getretene Norm verbietet die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Sie wurde vom Bundestag als Reaktion auf die steigende Aktivität von Suizid-Beihilfeorganisationen wie »Sterbehilfe Deutschland« oder »Exit Deutschland« beschlossen.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und die Stiftung Patientenschutz hielten das neue Gesetz für sinnvoll, um schwerkranke Patienten vor sozialem Druck zu schützen und »Schweizer Verhältnisse« zu verhindern. Hingegen haben die Sterbehelfer-Organisationen selbst, aber auch mehr als 140 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren vehement gegen das Gesetz argumentiert.

Es erscheint paradox, dass Strafrechtswissenschaftler Palliativmediziner vor einem neuen Gesetz schützen wollen, das die wissenschaftliche Fachgesellschaft der in der Palliativversorgung tätigen Ärzte und Pflegenden befürwortet. Das erklärt sich aber dadurch, dass der Würzburger Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf, der die kritische Resolution maßgeblich geprägt hat, seit einigen Jahren dem Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) angehört. Die DGHS hat eine bewegte Vergangenheit und müht sich seit einigen Jahren erfolgreich um Reputation im bildungsbürgerlichen Lager – ihre Position hat sich kaum geändert. Derzeit profiliert sie sich zwar mit ihrem Eintreten für allerlei Formen des assistierten Suizids, nach wie vor lehnt sie aber auch das in Paragraph 216 StGB festgeschriebene Verbot der Tötung auf Verlangen ab – beides ist ihrer Auffassung nach Sache von Ärzten. Damit setzt sich die DGHS für eine Deregulierung der Hilfe zum Sterben ein, die in Richtung der Euthanasiepolitik in den Niederlanden geht, wo die Tötung auf Verlangen längst den Alltag der medizinischen Versorgung am Lebensende prägt; etwas anders verhält es sich in der auf Suizidbeihilfe und bürgerschaftliches Engagement auch am Lebensende zielenden Schweiz.

Derzeit werden besonders kontroverse Fragen des »Freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit« erörtert.

Paragraph 217 StGB ist aber auch in anderer Hinsicht Gegenstand einer paradox scheinenden Diskussion. Obwohl bis heute, also fast drei Jahre nach Inkrafttreten, kein einziges Strafverfahren nach Paragraf 217 StGB bekannt geworden ist (die in der Jungle World 12/2018 beschriebenen Verfahren hatten Suizidbeihilfetaten aus der Zeit vor Einführung des Paragraph 217 StGB zur Grundlage), werden die Gegner der Vorschrift nicht müde, deren angeblich fatale Folgen zu beschwören. Tatsächlich wirkt die Vorschrift derzeit umfassend präventiv: Die breit beworbene Suizidbeihilfe durch größere Organisationen mit eigenen Interessen wurde beendet.

Dass mit der Einführung des Gesetzes Gespräche zwischen Palliativmedizinern und Patienten über Sterbebegleitung nahezu zum Erliegen gekommen seinen, trifft sicher so allgemein nicht zu. Im Sinne einer self-fulfilling prophecy mag es allerdings so sein, dass manche Ärzte, die die Vorschrift ablehnen, sich auch durch sie bedroht sehen.

Im Verfassungsbeschwerdeverfahren fällt jedenfalls auf, dass die rechtlichen Interpretationen der Vorschrift erheblich voneinander abweichen: je nachdrücklicher die Vorschrift abgelehnt wird, desto weiter fällt ihre Auslegung aus. Die Generalbundesanwaltschaft legt sie dagegen außerordentlich restriktiv aus – was sich gut mit der Konzeption des Gesetzes begründen lässt, das ausdrücklich hervorhebt, dass die reguläre Palliativmedizin nicht davon erfasst sein soll, sondern nur ärztliches Handeln, das auf geschäftsmäßige Suizidbeihilfe zielt. Das Bundesverfassungsgericht wird voraussichtlich in diesem Jahr noch eine Anhörung zu den Verfassungsbeschwerden abhalten und dann vermutlich Anfang 2019 entscheiden.

 

Weniger groß ist die Aufmerksamkeit für ein anderes Verfahren, das beim Arzthaftungssenat des Bundesgerichtshofs anhängig ist. In diesem Prozess geht es um die Frage, ob ein Arzt Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen muss, wenn er einen künstlich ernährten, schwer hirngeschädigten Patienten jahrelang künstlich ernährt hat, ohne den Betreuer irgendwann darüber aufzuklären, dass die künstliche Ernährung im Wesentlichen nur der Hinauszögerung des Beginns des Sterbeprozesses dient, aber die Lebensqualität des Patienten nicht verbessern kann. Zuletzt hatte das Oberlandgericht München dem Kläger recht geben und den Arzt zu einer Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt.Sollte der BGH diese Position ebenfalls vertreten, hätte das möglicherweise erhebliche Konsequenzen für medizinische Behandlungen am Lebensende: Ärztinnen und Ärzte müssten dann, um eventuellen Haftungsansprüchen zu entgehen, lebensverlängernde Behandlungen häufiger hinterfragen und die Betreuer über deren eventuell begrenzte Wirkungen aufklären – das würde voraussichtlich zu einem deutlichen Anstieg von Behandlungsabbrüchen führen, zumal auch rechtliche Betreuer grundsätzlich haften können und daher ebenfalls in kritischen Fällen nicht grundsätzlich für eine Weiterführung der Behandlung plädieren werden.

Während in den vergangenen mehr als 20 Jahren im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen zur Sterbehilfe die Frage des Abbruchs oder der Fortführung von Sondenernährung bei nichteinwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten stand, hat sich der Gegenstand der palliativmedizinischen und strafrechtlichen Diskussion in den vergangenen zwei Jahren verändert: Derzeit werden besonders kontroverse Fragen des »Freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit« (FVNF) erörtert.

Palliativmedizinisch hat der FVNF zum Ausgangspunkt, dass es sich hierbei nach dem Verständnis der meisten Mediziner nicht um eine ärztliche Suizidbeihilfe handelt, da die Patienten ja nicht erwarten, dass ihnen ein tödlich wirkendes Medikament zur Einnahme verschafft wird. Stattdessen essen und trinken sie nicht mehr – so dass sich im Körper ein natürlicher Sterbeprozess abspielt. Aufgabe der Palliativversorgung ist es lediglich, eventuell sich entwickelnde Schmerzen zu lindern, die Schleimhäute zu befeuchten oder auf ein Delir zu reagieren. Das Leben der Patienten könnte, wenn überhaupt, nur durch eine nicht gewünschte Nahrungs-und Flüssigkeitsgabe, also Zwangsernährung erhalten werden, dafür gibt es aber keine Rechtsgrundlage. Daher gilt FVNF auch den meisten Juristen und Ärzten, die sich damit befassen, als unbedenklich.

Kritisch sind zwei Aspekte. Wenn ein Arzt Patienten mehrfach von sich aus dazu die Idee vermittelt, ihr Leben durch FVNF zu Ende zu bringen, könnte darin eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung gesehen werden. Nach dem Tod durch FVNF stellt sich zudem die Frage, ob im Totenschein eine natürlich oder eine unnatürliche Todesursache angegeben wird. Bei unnatürlicher Todesursache wird zwangsläufig ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, was unter anderem auch zur Obduktion des Leichnams führt. Da nach Ansicht mancher Juristen der FVNF keinen Suizid im rechtlichen Sinne des Paragraphen 217 StGB darstellt, könnte grundsätzlich von einer natürlichen Todesursache ausgegangen werden.

Anders dürfte sich diese Diskussion darstellen, wenn eine Sterbehilfeorganisation auf die Idee käme, eine private Klinik zur Begleitung von FVNF aufzubauen – was grundsätzlich nicht ausgeschlossen erscheint. Dann wäre zu klären, ob eine solche Klinik nicht gewerbeordnungsrechtlich verhindert werden könnte. Da ein längerer Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zur Herbeiführung des Todes ein hohes Maß an Willenskraft und Durchhaltevermögen erfordert, ist allerdings hier kein sich rasch entwickelnder massenhafter Trend zum schnellen Tod zu erwarten.