Die Debatte um die Sterbehilfe

Nachhelfen im Sterbegeschäft

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Weniger groß ist die Aufmerksamkeit für ein anderes Verfahren, das beim Arzthaftungssenat des Bundesgerichtshofs anhängig ist. In diesem Prozess geht es um die Frage, ob ein Arzt Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen muss, wenn er einen künstlich ernährten, schwer hirngeschädigten Patienten jahrelang künstlich ernährt hat, ohne den Betreuer irgendwann darüber aufzuklären, dass die künstliche Ernährung im Wesentlichen nur der Hinauszögerung des Beginns des Sterbeprozesses dient, aber die Lebensqualität des Patienten nicht verbessern kann. Zuletzt hatte das Oberlandgericht München dem Kläger recht geben und den Arzt zu einer Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt.Sollte der BGH diese Position ebenfalls vertreten, hätte das möglicherweise erhebliche Konsequenzen für medizinische Behandlungen am Lebensende: Ärztinnen und Ärzte müssten dann, um eventuellen Haftungsansprüchen zu entgehen, lebensverlängernde Behandlungen häufiger hinterfragen und die Betreuer über deren eventuell begrenzte Wirkungen aufklären – das würde voraussichtlich zu einem deutlichen Anstieg von Behandlungsabbrüchen führen, zumal auch rechtliche Betreuer grundsätzlich haften können und daher ebenfalls in kritischen Fällen nicht grundsätzlich für eine Weiterführung der Behandlung plädieren werden.

Während in den vergangenen mehr als 20 Jahren im Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen zur Sterbehilfe die Frage des Abbruchs oder der Fortführung von Sondenernährung bei nichteinwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten stand, hat sich der Gegenstand der palliativmedizinischen und strafrechtlichen Diskussion in den vergangenen zwei Jahren verändert: Derzeit werden besonders kontroverse Fragen des »Freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit« (FVNF) erörtert.

Palliativmedizinisch hat der FVNF zum Ausgangspunkt, dass es sich hierbei nach dem Verständnis der meisten Mediziner nicht um eine ärztliche Suizidbeihilfe handelt, da die Patienten ja nicht erwarten, dass ihnen ein tödlich wirkendes Medikament zur Einnahme verschafft wird. Stattdessen essen und trinken sie nicht mehr – so dass sich im Körper ein natürlicher Sterbeprozess abspielt. Aufgabe der Palliativversorgung ist es lediglich, eventuell sich entwickelnde Schmerzen zu lindern, die Schleimhäute zu befeuchten oder auf ein Delir zu reagieren. Das Leben der Patienten könnte, wenn überhaupt, nur durch eine nicht gewünschte Nahrungs-und Flüssigkeitsgabe, also Zwangsernährung erhalten werden, dafür gibt es aber keine Rechtsgrundlage. Daher gilt FVNF auch den meisten Juristen und Ärzten, die sich damit befassen, als unbedenklich.

Kritisch sind zwei Aspekte. Wenn ein Arzt Patienten mehrfach von sich aus dazu die Idee vermittelt, ihr Leben durch FVNF zu Ende zu bringen, könnte darin eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung gesehen werden. Nach dem Tod durch FVNF stellt sich zudem die Frage, ob im Totenschein eine natürlich oder eine unnatürliche Todesursache angegeben wird. Bei unnatürlicher Todesursache wird zwangsläufig ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, was unter anderem auch zur Obduktion des Leichnams führt. Da nach Ansicht mancher Juristen der FVNF keinen Suizid im rechtlichen Sinne des Paragraphen 217 StGB darstellt, könnte grundsätzlich von einer natürlichen Todesursache ausgegangen werden.

Anders dürfte sich diese Diskussion darstellen, wenn eine Sterbehilfeorganisation auf die Idee käme, eine private Klinik zur Begleitung von FVNF aufzubauen – was grundsätzlich nicht ausgeschlossen erscheint. Dann wäre zu klären, ob eine solche Klinik nicht gewerbeordnungsrechtlich verhindert werden könnte. Da ein längerer Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zur Herbeiführung des Todes ein hohes Maß an Willenskraft und Durchhaltevermögen erfordert, ist allerdings hier kein sich rasch entwickelnder massenhafter Trend zum schnellen Tod zu erwarten.