Die gefährliche Nähe einer Rechtsextremismusexpertin zur Identitären Bewegung

Zu nah am Forschungsobjekt

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Zugleich verkündete sie ihren Rückzug »aus allen politischen Zusammenhängen«. Natürlich werde sie nun »nicht rechts« und »habe nicht das geringste Verständnis für menschenfeindliches Gedankengut und entsprechende ­Praxen«. Aber sie habe den Glauben, »dass sich Menschen ändern können«. Ist Gerber also ein »Betroffener ­rechter Agitation«, der mit Blums Hilfe »zurückgewonnen« wird?

Ende Januar »verabschiedete« sich Gerber öffentlich über Facebook und Twitter »offiziell von der IBD und meinen Positionen und Posten«. Er stehe fortan nicht mehr als »Sprachrohr« der Identitären Bewegung Deutschland zur Verfügung und gehe eigene Wege, »neue Liebe, neues Glück«. Er begründete dies mit Zweifeln; früher seien die Ansätze und Ideen der Neuen Rechten und der Identitären um »einiges differenzierter« gewesen, »Antiuniversalismus und die Ablehnung von Chauvinismus« hätten eine gewichtige Rolle ­gespielt. Mittlerweile sei die IB dagegen »zeitgeistig«.

Sieht so ein Ausstieg aus? Es klingt eher nach einer Kritik daran, dass die IB den rechten Weg verlassen und dem antiuniversalistischen Geist Alain de Benoists, eines Vordenkers der Neuen Rechten, abgeschworen habe. Wie in diesen Kreisen üblich, hat Gerber seinen Text mit Bildung vortäuschenden, schalen lateinischen Phrasen angereichert. Dafür, dass Gerber sich nicht von neofaschistischer Ideologie abgewendet hat, spricht auch sein Instagram-Post vom 20. März mit dem Foto seiner Geburtstagstorte. Auf dieser prangt ein Bild des italienischen Faschisten Julius Evola mit einer Anspielung auf dessen unter Rechten beliebten Schrift »Den Tiger reiten«.

Die erste öffentliche Nachricht zu dem Fall hatte die Autonome Antifa Freiburg am 22. März auf ihrer Website unter dem Titel »Vorsicht vor Alice Blum« publiziert. Jenseits dieser und der Anfang Mai auf Indymedia ver­öffentlichten Stellungnahme linker Gruppen aus Frankfurt gab es bislang keine öffentliche Thematisierung des Falls. In der Erklärung auf Indymedia raten die Gruppen dazu, Blum »gänzlich aus linken Zusammenhängen auszuschließen«, da nach Gesprächen bei Blum keine »tatsächliche Reflexion über die Einhaltung von Grenzen gegenüber« den Akteurinnen und Akteuren der IB stattgefunden habe.

Blum tritt derweil weiterhin als Feldforschungsexpertin zur IB auf, hält Vorträge und veröffentlicht Artikel. Auf Anfrage der Jungle World gab sie ­folgende Stellungnahme ab: »Bei den Anschuldigungen handelt es sich leider weitestgehend um Verleumdungen, da ich auf Nötigungen, meine Forschungsdaten und Kontakte herauszugeben, nicht ­eingegangen bin. Die Kritik kann ich daher aus antifaschistischer Perspektive sehr gut nachvollziehen, aus ­wissenschaftlicher und forschungs­ethischer jedoch nicht. Ich habe aus gutem Grund bisher nicht ­öffentlich Stellung dazu bezogen, um bei dem sensiblen Thema involvierte Personen nicht zu schädigen, die privaten Persönlichkeits­rechte von Betroffenen über das öffentliche Interesse zu stellen und auch meine Familie zu schützen. Daher kann und möchte ich mich leider gerade nicht weitgehender äußern, danke aber für die Gelegenheit zur Stellungnahme.«

Für eine Einschätzung der Integrität ihrer Arbeit verwies Blum an ihr ­Institut an der Gießener JLU sowie das Dekanat an der Frankfurter UAS. Für die Presseabteilung der UAS bestehe »keinerlei Anlass, an der wissenschaftlichen Expertise von Frau Blum zu zweifeln«, hieß es dort auf Anfrage der Jungle World. Eine »eindeutige Beurteilung der wissenschaftlichen und forschungsethischen Implikationen der Dissertation« liege aber bei der JLU. Deren Presseabteilung sieht, wie sie der Jungle World mitteilte, ebenfalls »keinerlei Hinweise dafür, die wissenschaftliche Integrität« von Blum beziehungsweise »die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis in Zweifel zu ziehen«.

Für einen ehemaligen Kollegen an Blums Gießener Fachbereich und ­Experten im Bereich der qualitativen Sozialforschung, der sich nur anonym äußern wollte, zeige sich dagegen an diesem Fall, »dass der verstehende ­Zugang qualitativer Forschung, so unverzichtbar er ist, doch nicht ungefährlich ist«. Man müsse sich zwar »vom Forschungsobjekt anrühren lassen, um dessen Sinnbildungen nachvollziehen zu können«; aber dieses Einlassen »muss dann auch auf der Ebene der affektiven Resonanzen wieder distanziert reflektiert werden, sonst kann man leicht darin hängenbleiben und seiner Faszination erliegen. Das ergibt dann nicht nur schlechte Wissenschaft, sondern hat – im Falle der Rechtsextremismusforschung – auch politische Konsequenzen.« Eine Diskussion über den Fall in wissenschaftsethischer und in politischer Hinsicht scheint jetzt erst zu beginnen.

Geändert am 10.8.2018