Ein Besuch bei Israelis in der Nähe des Gaza-Streifens, die unter ständiger Gefahr durch Raketenbeschuss leben

Bleiben trotz des Terrors

Seite 3 – Stalin für die Beduinen
Reportage Von

Der Kibbuz Magen wurde 1949 von rumänischen Holocaust-Überlebenden gegründet, die der sozialistisch-zionis­tischen Bewegung HaShomer HaTzair angehörten. Ihre Haltung spiegelt sich in einer Anekdote aus jener Zeit: Der Kibbuz Magen litt in seinen ersten Jahren darunter, dass Beduinen des Negev Bewässerungsanlagen, Gerät und Vieh entwendeten. Die Kibbuzversammlung reagierte auf den Diebstahl, indem sie Schriften Stalins in arabischer Übersetzung an die Obersten eines nahen ­Beduinenstamm übergeben, um diesen davon zu überzeugen, sich dem Kampf um eine bessere Gesellschaft anschließen, statt zu stehlen. Bei der letzten Wahl holte Meretz in Magen die meisten Stimmen.

Martin Sessler, der 1947 in der Schweiz geboren wurde und dort 1964 der HaShomer HaTzair beitrat, wurde 1970 Mitglied des Kibbuz. In den siebziger Jahren, so berichtet er, hätten offi­zielle Kontakte zwischen dem Kibbuz und nahegelegenen palästinensischen Dörfern bestanden. Die Situation habe sich mit dem Erstarken der während der ersten Intifada gegründeten islamistischen Hamas geändert. Palästinenser, die in Israel arbeiteten, seien bedroht und Opfer von Übergriffen geworden. Auch die Kibbuzniks von Magen hätten Geld nach Gaza geschickt, als die Arbeiter nicht mehr kommen konnten. Die Verschlechterung der Beziehungen, die in der zweiten Intifada einen vorläufigen Höhepunkt fand, hätten aus Magen, weniger als fünf Kilometer vom Grenzzaun zum Gaza-Streifen entfernt, einen Kibbuz an der Front gemacht, wenn auch »in zweiter Reihe«, wie Sessler sagt.

Er ist Pädagoge, machte an der Universität Be’er Sheva seinen Doktor in Judaistik und ist Dozent an der Zweigstelle der renommierten militärischen Vorbereitungsakademie Lachish im Kibbuz Nahal Oz, die nach der Operation »Schutzlinie« zur Unterstützung der Kommunen im Grenzgebiet zu Gaza eingerichtet wurde. Für die Studenten bedeutet es, ein Jahr lang Mitglied der Kollektivsiedlung zu werden, sich sozial zu engagieren und etwas über Israel und den Zionismus zu lernen. Itay spricht für die Gruppe, als er sagt, sie wollten alle diesen Kibbuz im Grenzgebiet ­unterstützen. Dies sieht praktisch so aus, dass sie an Wochenend- und Feier­tagen ein Programm für die Kinder der Kollektivsiedlung machen und Workshops anbieten.

Der Sturm auf die Grenze am 14. Mai habe eine Gefahr für Leib und Leben der Israelis in der Grenzregion dargestellt, sagt Sessler. Die Bewertung der israelischen Reaktion, die nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 150 Palästinenser das Leben kostete, gehe je nach politischer Überzeugung auseinander. Er betont, dass niemand glücklich sei über die Opfer, und zitiert aus den Sprüchen Salomons: Freue dich nicht über den Fall deines Feindes. Sessler sagt aber, dass die Reaktion der israelischen Streitkräfte notwendig und angemessen gewesen sei und er auf keinen Fall einen Grenzdurchbruch erleben möchte.

Von Mitleid will Sessler nichts wissen. Drei seiner Kinder hätten im Umland von Gaza gebaut. Er ist optmistisch, dass die Grenzen irgendwann wieder so ­offen sein werden, wie sie es einmal waren. Und die verbrannten Felder, so ist er sich sicher, werden wieder Weizen tragen.

Tse’elas Molkerei für Schafmilch ging aus einem Hippietraum von Tse’elas Mutter Ruti Nevo hervor, die Anfang der siebziger Jahre mit ihrem Partner beschloss, Magen den Rücken zu kehren und in die Wüste zu ziehen. Zur Molkerei gehören mittlerweile eine Landgaststätte und ein Besucherzentrum, das seit Jahren an den Wochenenden Besuchergruppen aus dem ganzen Land anzieht. Wegen des Feuerterrors bleiben die Gruppen in diesem Jahr aber weg. Dafür, so erzählt Tse’ela, ­kämen immer wieder Israelis für Soli­daritätseinkäufe

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Als Itay und Dana Nisanov ihre Hochzeit am 28.Juni auf den Feldern neben der Gaststätte planten, konnten sie den Feuerterror noch nicht erahnen. Die Brautleute wurden in ganz Israel bekannt, als sie sich entschlossen, ihre Hochzeitsfotos auf den verbrannten Feldern zu machen.