Ein Besuch bei Israelis in der Nähe des Gaza-Streifens, die unter ständiger Gefahr durch Raketenbeschuss leben

Bleiben trotz des Terrors

Seite 2 – Jeden Tag an der Feuerfront
Reportage Von

tatt mit Verzweiflung reagierten die Bewohner von Be’eri mit Entschlossenheit auf den Feuerterror. Nachdem ­anfangs große Brände wüteten, gelingt es mittlerweile, die meisten einzudämmen und klein zu halten. Innerhalb ­weniger Wochen wurde ein ausgeklügeltes System der Brandbekämpfung ­etabliert, das sich auf Feuerwehr, Armee, den Jüdischen Nationalfonds (KKL), der Umweltprojekte fördert, und die Eigeninitiative im Kibbuz stützt. So formierte sich in Be’eri eine freiwillige Feuerwehr, der ein paar Löschan­hänger zur Verfügung gestellt wurden.

Gold ist jeden Tag an der Feuerfront. Seine eigentliche Arbeit – das Anlegen von Radwanderwegen – ruht. Um schnell an schwer zugängliche Brandstellen zu kommen, ist Gold mit einem Geländebuggy und einem selbstgebauten kompakten Löschanhänger unterwegs. Dass er Großvater ist, sieht man dem muskulösen Kibbuznik nicht an. Gold sagt, er sei seit Wochen allein auf die Brandbekämpfung fokussiert. Die Freiwilligen in Be’eri, sagt Gold, könnten oft als Erste bei den Bränden sein und diese bis zum Eintreffen der Feuerwehr eindämmen. Wenn alle Feuerwehr­autos bei Großbränden eingesetzt werden, sind Gold und seine Mitstreiter ­alleine mit den Feuern rund um Be’eri. Oft, so erzählt er, gebe es so viele Feuermeldungen, dass es nicht möglich sei, überall gleichzeitig zu sein. Zudem mache der Materialverschleiß durch die hohe Beanspruchung eine aufwendige Wartung des Geräts nötig. Jeden Abend falle er todmüde von der Anstrengung und vom Rauch ins Bett.

Bei einer Rundfahrt durch das Naturschutzgebiet zeigt Gold auf ein bisschen Grün hier und da inmitten eines verkohlten Areals. Einzelne Pflanzen sprießen bereits wieder. Die Natur, so zitiert er aus dem Film »Jurassic Park«, finde immer einen Weg. Er verspricht, dass das Naturschutzgebiet im nächsten Jahr blühen werde.

Bei einem Observationsposten des KKL trifft Gold auf Einad und Mohammed aus der Beduinenstadt Rahat, die dort mit einem Feuerwehrauto die Stellung halten und auf die gesammelte Mannschaft warten. Sobald gegen Mittag der Wind dreht, erklärt Mohammed, geht es los. Weil der Wind für die Absender der Brandsätze am Vormittag schlecht steht, unterhalten sich die drei über Feuer, Land und Leute. Die seit Monaten andauernde Ausnahmesituation hat Zusammenhalt gestiftet.

Der KKL stellt seinen Feuerwehrleuten im ganzen Land frei, sich für den Dienst im Umland des Gaza-Streifens zu melden. Es melden sich so viele, dass mitunter sogar Streit darum ausbricht, wer abkommandiert wird. Als KKL-Freiwillige kamen auch zwei Drusen von den Golan-Höhen.
 

Mit Farbe gegen die Angst

Netiv HaAsara war ursprünglich Teil des Siedlungsblocks Yamit im israelisch besetzten Sinai. Nach dessen Räumung 1982 wurde das Genossenschaftsdorf auf einem Hügel nördlich der Grenze zum Gaza-Streifen neu errichtet. Die Bewohner betrieben Landwirtschaft und fuhren bis zur ersten Intifada für Besorgungen nach Gaza.
Als Zameret Samir im Jahr 2000 nach Netiv HaAsara zog, sah sie von der ­Veranda ihres Hauses direkt auf die wenige Hundert Meter entfernten Häuser am Stadtrand von Beit Lahiya. Während der zweiten Intifada gelangte das südliche Neubaugebiet von Netiv HaAsara ins Visier palästinensischer Scharfschützen. Als hohe Mauern ge­zogen wurden, um den Scharfschützen die Sicht zu nehmen, verschwand Beit Lahiya aus dem Blickfeld Samirs.

Am 14. Juli 2005 wurde die 22jährige Dana Galkovich bei einem Besuch in Nativ HaAsara von einer Kassam-Rakete getötet. 2007 begann der Dauerbeschuss der Grenzregion. Hinzu kam der vereitelte Versuch zweier palästinensischer Terroristen, sich nach Netiv HaAsara zu schleichen. Als der Raketenterror gegen Ende des Jahres 2008 eine beispiellose Intensität ­erreichte, begann Israel die Militäroperation »Gegossenes Blei«. Ab 2010 war der Bombenalarm wieder Teil des Alltags. Im März 2010 tötete eine Granate einen thailändischen Gastarbeiter der Genossenschaft (Moshav). Im November begann das israelische Militär die Operation »Wolkensäule«.

Vor etwa fünf Jahren entschloss Samir sich, etwas gegen das triste Grau der Sichtblende und ihre Angst zu tun. Sie begann, die neun Meter hohe Betonmauer in hoffnungsvollen Farben ­anzumalen. Und sie bemerkte, wie ihre Angst Kraft und Optimismus wich. Aus der Malaktion wurde die Mosaikschöpfung »Pfad zum Frieden«, an der sich immer mehr Menschen beteiligten.

Einige Wochen, nachdem sie den »Pfad zum Frieden« begonnen hatte, ­eskalierte die Situation erneut. Raketen- und Mörserbeschuss erreichten eine noch nicht dagewesene Intensität. Dazu kam die Albträume auslösende Gefahr der Infiltration. Von der höchsten Erhebung des Moshav zeigt Samir zu beiden Seiten auf jeweils von der Armee abgesperrte Areale, in denen Tunnelöffnungen entdeckt wurden.

Während der Militäroperation »Schutz­linie« 2014, so erzählt Samir, seien sie und ihre Familie eines Nachts von einer ohrenbetäubend lauten Explosion aus dem Schlaf gerissen worden. Die Druckwelle habe die Fensterscheiben bersten lassen. Eine Grad-Rakete habe den zweiten Stock des benachbarten Hauses völlig zerstört. Ihr schrecklichstes Erlebnis sei gewesen, vom Küchenfenster aus ihre Kinder in einen Schulbus steigen zu sehen, als »roter Alarm« – die höchste Stufe – gegeben wurde.

Samir betont, dass sie und ihre Familie sich trotzdem in der Gemeinschaft des Moshav wohlfühlten. Niemand habe den Gaza am nächsten gelegenen isra­elischen Ort verlassen. An einer Stelle, die als Neubaugebiet ausgewiesen ist, zeigt Samir auf eine Reihe von Bäumen, die jüngst gepflanzt wurden, um auf den Bau einer weiteren Mauer als Sichtblende verzichten zu können.
Über die vergangenen Wochen sagt Samir, es seien die schwersten seit 2014 gewesen. Mehrere Feuer seien im ­Moshav ausgebrochen, eines am Samstag, als den ganzen Tag Alarm und Explosionen zu hören gewesen seien und die Bewohner von Netiv HaAsara in den Bunkern gesessen hätten. Bei vielen, wie bei ihrer inzwischen erwachsenen Tochter, seien an diesem Tag alte Traumata wiedergekehrt.

Samir sorgt sich auch in schwierigen Zeiten nicht nur um ihre Familie und Freunde, sondern auch um Bekannte, die sie auf der anderen Seite der Grenze hat. Sie weigert sich, Frieden für unmöglich zu halten.